Die elektrischen Leitungen in der Wohnung seien total marode gewesen, sagte die Großmutter der sieben getöteten Kinder, Hatice Ö. (63, Foto), am Montag in der Backnanger Moschee. Der Vermieter habe sich aber nicht darum gekümmert. Foto: Benjamin Beytekin

Angehörige der acht türkischstämmigen Opfer der Brandkatastrophe in Backnang haben dem Vermieter der Wohnung und den deutschen Behörden schwere Vorwürfe gemacht.

Backnang - Hatice Özcan ist am frühen Sonntagmorgen von einem Knacken über ihrem Kopf aufgewacht. Als kurz darauf ihre Haare anfingen zu kokeln, war der 63-Jährigen klar, dass die Wohnung am Backnanger Stadtrand in Flammen stand. Sie schnappte den elfjährigen Enkel Ibrahim und floh gemeinsam mit ihrem Sohn auf ein Podest an der Hausrückseite. Von dort wurden die drei schließlich gerettet. „Ich wollte die anderen Kinder und ihre Mutter in den anderen Zimmern alarmieren, habe es aber wegen der Flammen nicht mehr geschafft“, berichtet die Frau mit den blondem Pferdeschwanz gefasst am Tag nach der Katastrophe, die ihr sieben Enkel und die Tochter nahm.

Sie und der 14-jährige Sohn der Familie Halil, der in der Brandnacht auswärts übernachtet hatte, erzählen auf die Frage nach möglichen Ursachen von maroden, aus den Wänden hängenden Kabeln, von funktionsuntüchtigen Lichtanlagen und ständigen Beschwerden beim Vermieter.

Eine Tante bestätigt die Erzählungen: Die verstorbene 40-Jährige Familienmutter habe sich wegen der erbärmlichen Wohnverhältnisse mehrfach an die Behörden gewandt habe - ohne Erfolg. Für den Landeschef der Religionsgemeinschaft des Islam, Ali Demir, sind diese Berichte „leider keine Ausnahme“. Solche Wohnungen wolle kein Deutscher mehr nehmen, und arme Migranten müssten sich dann damit begnügen.

In der türkischen Zeitung „Hürriyet“, die in der Backnanger Moschee ausliegt, stellt die Familie bohrende Fragen. Warum müssen so viele Menschen in einer beengten Wohnung leben? Warum wurde der Großfamilie mit zehn Kindern nicht geholfen? In der Wohnung hat es lediglich einen Holzofen als einzige Heizung und dem Vernehmen nach kein warmes Wasser gegeben - Zustände, die einen auswärtigen Beobachter zu der Bemerkung animieren: „So etwas hatte ich im reichen Baden-Württemberg nicht erwartet.“ Der Backnanger Erste Bürgermeister Norbert Balzer meint dazu: „Ich habe keinen Zweifel, dass baurechtlich das Wohnen hier zulässig war.“

Der Vermieter befindet sich zurzeit im Ausland

Der Vermieter ist nach Angaben der Polizei nicht greifbar, weil im Ausland. Doch seine Vernehmung stehe auf der Agenda, sagt der leitende Polizeibeamte Ralf Michelfelder. Ob man ihm etwas vorwerfen könne, sei derzeit noch nicht absehbar.

Wenn dies jedoch der Fall sei, werde man in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehmen, versprach er. Zwar betont die Polizei, dass noch in alle Richtungen ermittelt werde, also auch ein fremdenfeindlicher Hintergrund nicht völlig ausgeschlossen werde; auf letzteres gebe es aber keine Hinweise. So scheint sich die Hauselektrik als Schlüssel zu der Tragödie herauszukristallisieren.

Auch der Backnanger Dogan D., einer der Beobachter der Arbeiten der Experten am Brandort, ist sicher: „Das war kein Attentat.“ Einen Zusammenhang zu den NSU-Morden an türkischen und einem griechischen Kleinunternehmer sieht der Mann türkischer Herkunft nicht. „Das Haus war nicht in Schuss“, versucht er die Hintergründe des Unglücks zu erklären.

An die verstorbenen Kinder und ihre Mutter erinnern an einer Straßenlaterne unweit der Brandruine Rosen- und Tulpensträuße, Kerzen und Plüschtüre. Eine Nachbarin der Familie, Gertrud Hindel, hat schon am Sonntag Narzissen zum Gedenken abgelegt. „Das war mir ein inneres Bedürfnis und Ausdruck meiner Machtlosigkeit“, sagt die Backnangerin. Als weiterer Beweis der Anteilnahme in der Kleinstadt mit ihren gut 35 000 Einwohnern ist auf einem Blatt Papier in kindlicher Handschrift zu lesen: „Warum hat Gott Euch so früh geholt, er hat doch schon so viele Engel.“