„Ich biete der Politik gerne an, dass wir uns an der Lehrerbildung beteiligen“, sagt Michael Völter, neuer Börsenchef in Stuttgart Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Börse Stuttgart hat einiges vor. Im Herbst soll das neue Handelssystem Xitaro starten. Damit können wir die acht bis zehn großen Ideen, die wir in der Pipeline haben, schneller umsetzen, sagt der neue Börsenchef Michael Völter.

Die Börse Stuttgart hat einiges vor. Im Herbst soll das neue Handelssystem Xitaro starten. Damit können wir die acht bis zehn großen Ideen, die wir in der Pipeline haben, schneller umsetzen, sagt der neue Börsenchef Michael Völter. -
Herr Völter, haben Sie schon eine Veränderung an sich bemerkt? Schauen Sie neuerdings ständig nach den Börsenkursen?
Eigentlich nein, das habe ich vorher auch schon getan. Ich war der Kapitalanleger einer großen Versicherung, und da hat man genau wie hier die Kurse aller Anlageklassen im Blick.
Sie kommen von einem öffentlichen Versicherer und sind jetzt der Kopf einer öffentlich-rechtlichen Börse. Wie unterscheiden sich die beiden Welten?
Der Versicherer ist von langfristigen Kundenbeziehungen und langfristigen Kapitalanlagehorizonten geprägt. Dagegen wird an der Börse sehr kurzfristig agiert und im Sinne des Kunden auch schnell gehandelt. Der Wechsel des Geschäftsmodells ist spannend, und ich fühle mich wohl dabei.
Die Börse läuft gut, doch die deutschen Sparer meiden Aktien. Was wird erst, wenn die Kurse talwärts gehen?
Aus Sicht einer Börse ist es gut, wenn sich Kurse bewegen, weil dann viel Handel stattfindet. Ich bedaure die Zurückhaltung der Deutschen gegenüber der Aktie. Die Aktien der großen Dax-Unternehmen sind zu mehr als 50 Prozent in ausländischer Hand. Was passiert, wenn die Kurse fallen? Provokant könnte man sagen: Wo wenige sind, können wenige fliehen. Ich würde den Privatanlegern aber raten, eine ruhige Hand zu bewahren. Wer Zeit hat, kann fallende Kurse aussitzen.
Wenn Leute die Aktie als zu riskant empfinden, warum soll man sie da hineinlocken?
Jede Anlage hat ihre Zeit. Anleihen, also festverzinsliche Wertpapiere, hatten in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten eine gute Zeit. Der jahrzehntelange Zinsrückgang bescherte hohe Kursgewinne. Viel tiefer als jetzt kann der Zins nicht fallen. Wenn dann die Zinsen steigen, müssen Anleger Kursverluste befürchten. Das heißt, sie müssen raus aus Anleihen und rein in Sachwerte wie Aktien, Zertifikate oder Indexfonds, die sich auch für weniger erfahrene Privatanleger eignen.
Deutet sich eine Trendwende bei den langfristigen Zinsen an?
Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen zieht seit ein paar Wochen an. Mittelfristig gehe ich aber nicht von deutlich steigenden Zinsen aus. Das heutige Zinsniveau wird uns über die nächsten Jahre erhalten bleiben.
Sie fordern vom Gesetzgeber Anreize zum Aktiensparen. Wie aufgeschlossen ist man in Berlin denn gegenüber Ihrer Forderung?
Die Bereitschaft, Sparen in jeglicher Form zu fördern, insbesondere im Bereich der Altersvorsorge, ist da. Wenn es dann um einzelne Verbesserungen bei der Besteuerung geht, kann ich wenig Aktivitäten erkennen, die Aktienkultur zu verbessern.
Der Börsenhandel ist streng überwacht – zum Vorteil der Anleger. Wieso hat die Börse Stuttgart dann das außerbörsliche Handelssystem Cats gekauft?
Der Gesetzgeber wollte vor der Finanzkrise mehr Wettbewerb schaffen. Deshalb hat er außerbörsliche Plattformen zugelassen, deren Handel weniger stark reguliert und intransparent ist. Mit dem Kauf von Cats wollten wir ein zweites Standbein schaffen, für den Fall, dass der Börsenhandel bei zukünftig veränderter Regulierung geschwächt wird. Wir kämpfen dafür, dass der Wertpapierhandel, insbesondere von Privatanlegern, in jedem Fall über eine regulierte Börse läuft – im Idealfall über die Börse Stuttgart. Cats ist heute eine Plattform für Profis, die verbriefte Derivate außerhalb der Börse handeln wollen. Die Plattform könnte für uns zudem ein Vehikel sein, im europäischen Ausland weiter zu expandieren.
Haben Sie konkrete Pläne?
Wir überdenken unsere Expansionsstrategie ins Ausland, die wir 2008 mit dem Kauf der schwedischen Börse Nordic Growth Market begonnen haben. Die nordischen Märkte sind sehr aufgeschlossen gegenüber Aktien und Zertifikaten. Außerhalb von Skandinavien könnten wir mit Cats im Ausland aktiv werden. Die Handelsplattform ist heute unter anderem schon in Österreich, Frankreich und den Niederlanden aktiv.
Welche strategische Ausrichtung der Börse Stuttgart werden Sie verfolgen?
Ich bin seit 2008 in den Gremien dieser Börse aktiv und sage überzeugt: Die Börse Stuttgart wird so bleiben, wie man sie heute kennt. Das ist mir wichtig. Meine Vorgänger haben erfolgreich die verbrieften Derivate als Kerngeschäft aufgebaut und haben auf Handelsexperten gesetzt, die in den elektronischen Handel eingebunden sind. Darauf möchte ich aufbauen. Andrerseits wächst der Markt in Deutschland nicht mehr stark. Bei wegschmelzenden Erträgen und steigenden Kosten wird man sich neue Felder suchen müssen. Das werden wir tun.
Woran denken Sie?
Neben einer Expansion ins Ausland denken wir über neue Produkte nach, die wir anbieten könnten. Wir haben einen Strategieprozess begonnen, und ich gehe davon aus, dass bis Ende des Jahres neue Ideen entwickelt werden. Aktuell führen wir sehr spannende Diskussionen über unser neues Börsensystem Xitaro.
Dann sprudeln die Ideen?
Die Mitarbeiter der Börse gehen mit einer Lust an die Themen, die Freude macht. Ich habe hier ein Haus mit 350 Mitarbeitern angetroffen, die sehr motiviert und unglaublich schnell in der Umsetzung sind. Allerdings sind die Mitarbeiter sehr belastet mit der Einführung von Xitaro, das im Herbst des Jahres starten wird. Das System, das wir aus eigener Kraft finanzieren, wird einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag kosten. Ungefähr ein Drittel der Mitarbeiter ist damit beschäftigt, das Vorhaben zum Laufen zu bringen. Xitaro gibt uns die Möglichkeit, die acht bis zehn großen Ideen, die wir in der Pipeline haben, schneller umsetzen zu können.
Was haben Sie sich als Börsenchef noch vorgenommen?
Ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt, ist, die Initiative Stuttgart Financial voranzutreiben. Wir wollen damit den Finanzplatz Stuttgart stärken, wollen allen, die sich hier mit Finanzen beschäftigen, eine Heimat geben. Dabei meine ich nicht nur Stuttgart, sondern das ganze Land – auch Mannheim, Freiburg und Ulm.
Worum geht es bei Stuttgart Financial?
Wir kümmern uns um wirtschaftliche Bildung und Wertpapierbildung. Wir nehmen viel Geld in die Hand, um die Bürger des Landes in diesen Themen zu schulen. Wir freuen uns deshalb sehr, dass Baden-Württemberg das Fach Wirtschaft an Schulen einführt. Ich biete der Politik gerne an, dass wir uns an der Lehrerbildung beteiligen. Das sind wichtige Multiplikatoren in die Gesellschaft hinein.
Was stellen Sie sich da vor?
Wir könnten Schulungen an der Börse anbieten und an Lehrplänen mitarbeiten. Wir stellen bereits Unterrichtsmaterial zur Verfügung, das es ermöglicht, wirtschaftliche Entwicklungen spielerisch zu erfassen. Wir könnten Seminare unterstützen. Wenn Kommunen oder Schulen auf uns zukommen, haben wir schon heute ein Angebot parat. Wir sind ein offenes Haus. Wir haben zudem das Karriereportal Financial Career BW, bei dem sich Studienabgänger bewerben können. Wir organisieren Veranstaltungen, auf denen sich Unternehmen und Studienabgänger treffen können.
Sie haben vor allem den Nachwuchs im Blick?
Stuttgart Financial kümmert sich auch um junge Unternehmen. Wir geben Hilfestellungen von der Frühphase einer Gründung bis hin zum Werben um Kapital. Wir bieten zusammen mit dem Land eine Plattform für junge Unternehmen und wollen damit die Wirtschaftsentwicklung im Südwesten unterstützen.
Zeichnet dieses Engagement den Finanzplatz Stuttgart aus?
Ganz sicher. Wir investieren sehr viel Geld zur Stärkung des Finanzplatzes. Wir sind hier sicherlich Spitzenreiter in der deutschen Börsenlandschaft.