Urban findet Anastasiya Nesterova die Landschaft in Böblingen. Das spiegelt sich in ihren Bildern wider, die Straßen, Laternen, Parkhäuser und Gebäude zeigen.Foto:factum/Bach Foto:  

Anastasiya Nesterovas Lieblingstechnik ist der Holzschnitt. Die Schlossbergstipendiatin beherrscht das Druckverfahren virtuos, wie ihre filigranen und farbigen Arbeiten zeigen. Mit dem Stipendium will der Kunstverein junge Künstler ansprechen.

Böblingen - Kein Mensch ist in Anastasiya Nesterovas Landschaftsbildern zu sehen. Unübersehbar aber sind seine Spuren: Autos und Architektur, Schranken und Straßen, die Böblinger Wandelhalle und Windräder mitten in Rapsfeldern. Noch etwas verblüfft an den Arbeiten der Schlossbergstipendiatin des Kunstvereins, die in den vergangenen zwei Monaten in Böblingen entstanden sind und nun im Alten Amtsgericht unter dem Titel „Landstriche & Umkreise“ ausgestellt werden: Viele davon sind Holzschnitte, ohne holzschnittartig zu sein. Für den Böblinger Kunstverein ist Anastasiya Nesterova ein Glücksfall, soll doch der Schwerpunkt des Stipendiums stärker auf Druckverfahren liegen.

Anastasiya Nesterova hat ein Kontrastprogramm hinter sich. Erst verbrachte sie – stipendiumbedingt – sechs Monate in dem idyllischen Städtchen Schieder-Schwalenberg im Kreis Lippe, dann zwei Monate in Böblingen. „Die Stadtlandschaft ist sehr, sehr verbaut“, sagt die Künstlerin über Böblingen, die gerade das urbane Leben festgehalten hat: ein Parkhaus zur blauen Stunde, sterbende und neue Einkaufszentren, die Kongresshalle mit den Seen, die Wandelhalle, die Kreissparkasse mit dem neu gestalteten Ende der Bahnhofstraße, um nur ein paar Beispiele zu nennen. „Landschaften sind mein Thema momentan“, sagt Nesterova. Aber romantisch sind sie keineswegs.

Ihre Lieblingstechnik: der Holzschnitt

Zum Pinsel hat die Künstlerin in ihrer Böblinger Zeit zwar auch gegriffen, aber noch lieber zum Druckstock. Der Holzschnitt ist zurzeit ihre erklärte Lieblingstechnik. Die Drucke sind verblüffend filigran und farbig. Sie wolle die Technik modernisieren, sagt die auf der Krim geborene Nesterova. Für ihre Holzschnitte nutzt sie nur eine Druckplatte, die sie für jede Farbschicht stärker bearbeitet. „Die sogenannte verlorene Form ist der Suizid der Platte“, erklärt die Künstlerin.

Von deren Fertigkeiten seien die Leiterinnen der Grafikwerkstatt des Böblinger Kunstvereins beeindruckt gewesen, berichtet Gudrun Latten aus dem Vorstand des Kunstvereins. Sie ist seit Kurzem verantwortlich für das Schlossbergstipendium, das seit 1999 vergeben wird. Nach einer Neustrukturierung des Vereins folgt nun eine Neuausrichtung des Stipendiums. Sie wollten gezielt jüngere Künstler ansprechen, ihnen die Möglichkeit zum Austausch mit anderen Kunstschaffenden und zum Ausstellen geben, erklärt Latten. Deshalb sei das Stipendium, das einen Aufenthalt in einer Wohnung in Böblingen, die Nutzung der Grafikwerkstatt und eine Abschlussausstellung umfasst, für Künstler im Alter unter 35 Jahren bestimmt. Die Nutzung der Werkstatt für Hoch- und Flachdrucktechniken soll bei der Auswahl der Stipendiaten stärker berücksichtig werden. Für Anastasiya Nesterova war die Grafikwerkstatt mit ausschlaggebend dafür, dass sie sich um das Schlossbergstipendium bemüht hat.

Im Atelier der Mutter groß geworden

Die Tochter eines russischen Offiziers und einer ukrainischen Künstlerin ist im Atelier ihrer Mutter groß geworden. Nach wenigen Semestern Wirtschaftswissenschaften begann sie in Odessa ein Kunststudium. „Ich kann es nicht lassen“, gesteht Nesterova mit der für sie typischen feinen Ironie, „ich sehe, was andere nicht sehen.“ Doch das Kunststudium in ihrer Heimat war ihr „zu trocken und zu akademisch“. Irgendwann sei es „total langweilig gewesen“, erzählt die 36-Jährige. Da ihre Familie Freunde in Münster habe, sei sie vor elf Jahren nach Nordrhein-Westfalen zum Studieren gegangen. Dort fand sie, was sie suchte: Raum für ihre Kreativität.

An eine Rückkehr in ihre Heimat denkt die Wahl-Münsteranerin nicht. Das hat nicht nur etwas mit den politischen Umständen auf der Krim zu tun. „Meine Kunst verstehen die Ukrainer und Russen nicht, sie ist ihnen zu westlich“, sagt Anastasiya Nesterova. In Deutschland hat sie viel mehr Chancen, sich zu etablieren: „Ich möchte frei arbeiten“, sagt sie bestimmt.

Kunstförderung in der Region

Kreis Esslingen
Die Stadt und der Kreis haben eigene Stipendien. So fördert der Kreis seit 1992 mit einem dreijährigen Atelierstipendium im Kulturpark Dettinger in Plochingen junge bildende Künstler. „Bezahlbare Ateliers sind wahnsinnig rar“, sagt Mechthild Wilke, zuständig für das Stipendium. 25 bis 30 qualifizierte Bewerbungen für eines der vier Ateliers gingen bei ihr ein. Bis zum Freitag, 8. April, können sich noch junge Künstler für die neuen Stipendien bewerben. Das Bahnwärter-Stipendium der Stadt Esslingen wurde im vorigen Jahr nach einer vierjährigen Pause wieder vergeben. Gefördert werden Literaten und bildende Künstler, die jeweils 6000 Euro erhalten und kostenlos im Bahnwärterhaus leben können. Alle zwei Jahre wird das Stipendium neu ausgeschrieben.

Stuttgart
60 bis 120 Autoren und Übersetzer bewerben sich jeweils um das Stipendium des Stuttgarter Schriftstellerhauses, das es seit mehr als 30 Jahren gibt. Drei bis vier Stipendiaten leben und arbeiten drei Monate in einer Wohnung in der Kanalstraße und werden mit 4000 Euro unterstützt. Neu ist das Hannsmann-Poethen-Literaturstipendium, das Stuttgart im vorigen Jahr erstmals ausgeschrieben hat. Es wird alle zwei Jahre vergeben an einen Literaten und einen Künstler einer anderen Sparte. 15 000 Euro und die Miete für einen dreimonatigen Aufenthalt in Stuttgart umfasst die Förderung.