Beim Musical sind Herkunft und Muttersprache egal. Gefragt sind vor allem Tanz- und Schauspielkünste. Foto: factum/Bach

Bei Proben für ein Musical in den Pfingstferien kommen sich deutsche Schüler und minderjährige Flüchtlinge näher. Das Bundesministerium für Familien und Jugend finanziert das innovative Projekt.

Böblingen - Die Erde ist in Gefahr. Superman hat seinen Job gekündigt und ist ausgewandert. Und Aliens mit grünen Gesichtern mischen sich plötzlich unter die Erdbewohner. Wer kann die Welt jetzt retten? Das soll ein Casting zur Wahl von Supergirl und Superman klären.

Diese Story erzählt das Musical Heroes of modern Society, das in der vergangenen Woche 60 Jugendliche in der Murkenbach-Aula eingeübt haben. Das Besondere an diesem Ferienprojekt: die Hälfte der jungen Leute sind Schüler der Albert-Schweitzer-Realschule, die andere Hälfte minderjährige Flüchtlinge, die die Vorbereitungsklassen in der Sindelfinger Gottlieb-Daimler-Schule besuchen und sonst kaum Kontakt zu deutschen Gleichaltrigen haben.

Der Musicalstoff biete den Jugendlichen viele Anknüpfungspunkte zu ihrer alltäglichen Welt, meint Nathan Grant, der Projektleiter, der das Stück gemeinsam mit seinem Team entwickelt hat. Für die deutschen Jugendlichen seien Casting Shows etwas ganz Normales. Und so nimmt es nicht Wunder, dass der Casting-Chef im Stück, der alle Teilnehmer mies macht, bei den Proben als Dieter Bohlen betitelt wird. „Bei der Aufführung muss er aber aus rechtlichen Gründen einen anderen Namen haben“, sagt die Tanzpädagogin Kara Kitch, die mit den Jugendlichen die Tanz-Performance einübt.

Die meisten der jungen Flüchtlinge haben noch nie etwas von Dieter Bohlen gehört. Dafür können sie sich aber gut in die Rollen der Aliens einfühlen. „So mancher Flüchtling fühlt sich bei uns in Deutschland auch wie ein Alien. Alles ist fremd und anders“, hat Nathan Grant erfahren.

Der 34-jährige Amerikaner ist spezialisiert auf interkulturelle Projekte. Im Erstaufnahmelager in Wertheim organisiert er Theatervorstellungen mit Neuankömmlingen. In Böblingen ist er gemeinsam mit Katrin Monuani vom Kreisjugendamt für das Muscial verantwortlich. „Ich bin auf verschiedene Schulen zugegangen und die Rektorin der Schweitzer-Realschule, Frau Honer, war gleich sehr aufgeschlossen“, berichtet der Sozialpädagoge. Er liefert mit seiner Band Flammkeepers auch die Musik zum Stück.

„Wenn man etwas zusammen erlebt, lernt man sich kennen“, nennt Monauni ein Ziel des Projekts. Sie lobt die 60 jungen Teilnehmer, die in ihren Pfingstferien täglich sechs Stunden probten. „Es ist eine enorme Leistung innerhalb von einer Woche ein Musical einzuüben.“ Für so manchen minderjährigen Flüchtling waren die Proben eine willkommene Abwechslung im sonst eher tristen Ferienalltag. „Was soll ich in den Ferien sonst den ganzen Tag tun?“, fragt beispielsweise Ahmad.

Aufs Dolmetschen wird verzichtet

Der 17-Jährige Iraker lebt in einer Wohngruppe des Waldhauses und gibt im Musical den Batman. Obwohl er noch nie zuvor auf einer Bühne stand, hat er eine der Hauptrollen übernommen. Den ziemlich martialischen Star zu spielen mache ihm großen Spaß, sagt Ahmad. Der gleichaltrige Azad aus Syrien bringt bereits Schauspielerfahrung mit. Er ist der neue Superman. Ihm zur Seite steht Sara, das Supergirl.

Anfangs sei die Verständigung mit den Flüchtlingen schwierig gewesen, berichtet die Neuntklässlerin. Doch mittlerweile funktioniere es ganz gut, auch wenn die Jungs vor allem an „blonden Mädchen“ interessiert seien. Und so lernen die jungen Flüchtlinge – ausschließlich Jungen – so ganz nebenbei auch gleich den Umgang mit deutschen Mädchen.

Auch andere deutsche Tugenden sind gefragt. „Nicht jedem Teilnehmer fällt es leicht, sich täglich sechs Stunden zu konzentrieren. Aber alle machen mit“, lobt Nathan Grant. Aufs Dolmetschen verzichtet er nach anfänglichen Missverständnissen, die gleich zu einem heftigen Streit führten. „Wir sprechen nur Deutsch und mit Körpersprache. Das funktioniert gut“, sagt die Tanzpädagogin Kara Klich. Und die beiden Streithähne seien mittlerweile unzertrennliche Freunde geworden.

Am Montagvormittag ist Musical-Premiere – für die Schüler der Schweitzer-Schule. Im September gibt es dann eine öffentliche Aufführung in der Kongresshalle.

Wie das Weltretter-Casting ausgeht, wird hier nicht verraten. Nur soviel: moderne Helden brauchen nicht unbedingt Superkräfte, dafür aber ein Herz für ihre Mitmenschen. Dann klappt es sogar mit den Aliens.