Erneuerung oder Erweiterung, das ist der aktuelle Streitpunkt. Zumindest ist unübersehbar, dass Fernwärmerohre verlegt werden. Foto: z

Die Interessengemeinschaft Fernwärme glaubt, endgültig nachweisen zu können, dass die Stadtwerke Altkunden schröpfen, um neue Geschäfte zu finanzieren. Das Unternehmen begnügt sich mit einer kargen Widerrede.

Böblingen - In der Straße klafft ein Graben. In dem Graben sind neue Rohre verlegt. Neben der Straße stapeln sich weitere. Ein Bauschild der Stadtwerke Böblingen tut kund: „Für Sie erneuern wir das Versorgungsnetz.“ Nicht nur bei diesem Satz beschleicht die Mitglieder der Interessengemeinschaft Fernwärme (IG) der Verdacht, dass in ihm kaum ein Körnchen Wahrheit steckt. „Wir reden inzwischen von alternativen Fakten“, sagt der IG-Sprecher Peter Aue – wenn die Stadtwerke eine Stellungnahme zum anscheinend ewigen Streitthema Fernwärme abgeben.

Die Bauarbeiten sind der jüngste Anlass. Aue und seine Mitstreiter glauben, dass das Rohrnetz nicht erneuert, sondern erweitert wird, dies in Richtung Böblingen-Hulb. Sie argwöhnen, dass die Stadtwerke Altkunden mit Preiserhöhungen schröpfen, um neue Geschäfte zu finanzieren. Nach Rechnung der IG müssen Eigentümer von Einfamilienhäusern für ihre Fernwärme im Vergleich zu 2015 inzwischen rund 45 Prozent mehr bezahlen. Im Schnitt sind die Preise um 33 Prozent gestiegen, während sie bundesweit um mehr als ein Zehntel sanken. Was die Stadtwerke eben mit der Erneuerung des Netzes begründen. Ihre schriftliche Stellungnahme zum Verdacht der Erweiterung liest sich so: „Sollten Planungen zu einer Entscheidungsreife gelangen, werden wir darüber rechtzeitig und umfassend berichten. Das ist hier aber nicht der Fall.“

Das Argument für den Vorwurf war im Amtsblatt zu lesen

Allerdings ist im Amtsblatt vom 18. November 2016 dokumentiert, dass Planungen zur Erweiterung des Fernwärmenetzes längst die Entscheidungsreife erreicht hatten. In dieser Ausgabe suchten die Stadtwerke ein Unternehmen, das ihnen „auf ca. 350 Meter eine Fernwärmeleitung verlegt“, für die „Verbindung Steidach – Hulb“. Der Auftrag war ausgeschrieben als „Neubau einer Fernwärmeleitung“ und sollte in zwei Abschnitten zu erledigen sein, im Frühjahr und Sommer 2017. Die Sprecherin der Stadtwerke, Martina Mayer, beharrt darauf, dass alles Erwähnenswerte hierzu die schriftliche Mitteilung beantworte.

Derlei Ungereimtheiten hat die IG in einer neuerlichen Eingabe an die Landeskartellbehörde aufgelistet. Was im Grunde unnötig schien, denn die Kartellprüfer beschäftigen sich bereits seit Januar mit der Frage, ob die Stadtwerke ihr Fernwärme-Monopol ausnutzen, um die Preise zu treiben. Dies scheinen immer mehr Kunden zu argwöhnen. „Die Leute haben uns die Bude eingerannt“, sagt Aue. Seit der jüngsten Preiserhöhung habe die Zahl der IG-Mitglieder sich von rund 100 auf fast dreihundert nahezu verdreifacht, „und jede Woche kommen ein paar dazu“.

Auch die Christdemokraten beginnen zu zweifeln

Ein erster Anlauf bei den Kartellwächtern war gescheitert, zum zweiten reichte die IG gut 1500 Protestunterschriften ein, der dritte soll die Argumente bekräftigen. Allerdings wird die Prüfung noch einige Zeit dauern. Frühestens im Herbst, meint Aue, sei mit einem Ergebnis zu rechnen. Auf das hofft inzwischen auch zumindest die CDU im Gemeinderat. Bei den Christdemokraten hatte die Bitte der IG nach einem Gespräch Erfolg. Das Treffen war im März und hat offenbar bei den Stadtpolitikern zumindest Zweifel gesät. „Wir wollen leistungsfähige Stadtwerke“, sagt der CDU-Fraktionschef Hans-Dieter Schühle, „aber um zu entscheiden, ob alle Investitionen so notwendig sind, fehlen uns die Informationen“. Der Nachsatz ist nicht allzuweit von Aue und seinen Mitstreitern entfernt. Sie beklagen seit Jahren, das Unternehmen betreibe Geheimniskrämerei. Schühle hofft, dass eine Entscheidung der Kartellprüfer den Streit schlichtet. Im Mai wollen die Grünen die Widerständler empfangen. Freie Wähler und SPD ließen die Anfrage unbeantwortet.

Ein Erfolg bei der Kartellbehörde scheint nicht ausgeschlossen. Über Fernwärme-Monopole wird republikweit gestritten. Im Februar hatte das Bundes-Kartellamt verfügt, dass fünf Anbieter insgesamt 55 Millionen Euro an ihre Kunden zurückzahlen müssen. Ein weiterer senkte die Preise freiwillig. Bei zweien urteilten die Kartellwächter, die Beschwerden seien grundlos. Die Begründung des Kartellamtschefs Andreas Mundt zu den Urteilen fiel entsprechend zwiespältig aus. Wegen der Monopole seien Fernwärmekunden „in besonderem Maße schutzbedürftig“, sagte der oberste Kartellwächter. Allerdings seien „missbräuchlich überhöhte Preise ausgesprochen schwierig“ nachzuweisen.