Einen Tag nach dem Blutbad in Karlsruhe liegen Blumen vor dem Haus. Foto: dpa

Geiselnehmer von Karlsruhe tötete Freundin vermutlich am Vorabend – SEK war ohne Chance.

Karlsruhe/Stuttgart - Zeugen wollen bereits am Dienstagabend Schüsse in der Wohnung des 53-jährigen Mannes gehört haben, der am Mittwoch bei einer Zwangsräumung ein Blutbad anrichtete. Auch andere Indizien deuten darauf hin, dass der Täter seine 55-jährige Freundin, der die Wohnung gehört hatte, vorher erschoss. Nach Auskunft des Sozialarbeiters, der als Einziger das Drama überlebte, soll der Täter zu Beginn der Zwangsräumung auf die Frage, ob man seine Freundin sprechen könne, gesagt haben, die liege krank im Bett. Tatsächlich fand die Polizei die Frau nach der Tat zugedeckt im Schlafzimmerbett. Sie war durch einen Schuss in die Brust getötet worden.

Hätte das Spezialeinsatzkommando (SEK) der baden-württembergischen Polizei die weiteren Morde verhindern können, wenn nicht alle Beamten zentral in Göppingen stationiert wären, sondern Teile davon auch in Karlsruhe? Auf diese Frage sagte Landespolizeiinspekteur Gerhard Klotter am Donnerstag: „Es kam in Karlsruhe nicht darauf an, ob das SEK drei Minuten früher oder später am Tatort war.“ Die Einsatzkräfte hätten via Autobahn etwa eine Stunde benötigt. Gleichwohl habe man im Zug der Polizeireform darüber nachgedacht, die bisher zentrale Unterbringung aufzulösen. Die Polizeiführung habe darin aber keinen Vorteil gesehen. In der Tat deutet vieles darauf hin, dass in der Wohnung in der Karlsruher Nordstadt längst alle tot waren, bevor das SEK überhaupt vor Ort war. Der Sozialarbeiter, den der Täter gegen 9 Uhr gehen ließ und der dann die Polizei alarmierte, hatte beim Weggehen im Treppenhaus fünf Schüsse gehört. Ob zu diesem Zeitpunkt alle starben, soll die Obduktion der Leichen klären, deren Ergebnisse für diesen Freitagnachmittag erwartet werden.

Getöteter Schlosser war für einen Kollegen eingesprungen

Besonders tragisch erscheint der Tod des 33-jährigen Schlossers, der laut „Bild“-Zeitung nur für einen Kollegen eingesprungen ist und eine schwangere Frau und drei Kinder hinterlässt. Der Täter hatte zunächst gegen 8 Uhr den Schlosser, den Gerichtsvollzieher, den neuen Wohnungsbesitzer und den Sozialarbeiter hereingebeten. Als diese sich nicht setzen, sondern mit der Zwangsräumung beginnen wollten, holte der Mann aus der Küche eine Pistole und schoss dem Gerichtsvollzieher, der ebenfalls Frau und Kinder hinterlässt, in die Beine. Dann zwang er den Schlosser, die anderen zu fesseln. Als der Täter den Schlosser selbst fesseln wollte, versuchte dieser, dem Geiselnehmer die Waffe aus der Hand zu schlagen. Dies misslang, der Täter schoss dem Schlosser daraufhin mehrfach in die Brust. Dann ignorierte der Täter offenbar eine Dreiviertelstunde alle Bitten der Geiseln, doch einen Notarzt zu rufen. Gegen 9 Uhr ließ er dann den Sozialarbeiter frei und tötete offenbar alle anderen sowie sich selbst.

Täter war nicht in Karlsruhe gemeldet

Die Wohnung hatte der Freundin des Täters gehört, die aber jahrelang keine Nebenkosten zahlte. Daraufhin wurde die Wohnung im April zwangsversteigert, nach der Zwangsräumung sollte sie in eine Übergangsunterkunft der Stadt ziehen. Der Täter selbst war in Karlsruhe nicht gemeldet, er hat die französische Staatsangehörigkeit. Woher er seine Waffen hatte (zwei Gewehre, zwei Pistolen, eine Übungshandgranate), das soll nun mit Hilfe der französischen Behörden geklärt werden. Über sein Motiv kann man nur spekulieren. „Denkbar ist, dass er vor den Scherben seines Lebens stand“, so ein Polizeisprecher. Etwaige Mitwisser der geplanten Tat scheint es nicht zu geben. Das Paar hatte offenbar wenig Kontakt mit anderen Menschen, zumindest nicht in dem Wohnhaus.

Der Polizei aufgefallen war der Täter nur einmal im Jahr 2003, als er für 30 Euro Kosmetikartikel gestohlen hat. Da er einen Schlagring und ein Messer dabei hatte, ohne diese allerdings einzusetzen, wurde er wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt.