Unsere blinde Mitarbeiterin Lucia Hoffmann zwischen Archner (li.) und Appel. Foto: Pressefoto Baumann

Können Blinde VfB-Spiele im Stadion erleben? Spezielle Reportagen machen dies möglich.

Stuttgart - In der Cannstatter Kurve jubeln die Fans. Gesänge schallen durch das Stadion. Die Luft ist voll von Trommeln und Klatschen. „In der Fankurve der Stuttgarter gibt es eine Choreografie. Sie heben nach Anweisung die Hände und klatschen. Das ist ein tolles Bild“, kommentiert Reporter Jürgen Appel über die Kopfhörer die Szene.

Andi Kaiser fiebert mit. Der leidenschaftliche Fußballfan ist blind. Er verpasst kein Bundesliga-Heimspiel seines Clubs. Auch nicht das am Samstag gegen Paderborn.

Ebenso wie Sehende gehen auch blinde und sehbehinderte Fans selbstverständlich regelmäßig gern ins Stadion. Für sie gibt es einen speziellen Hörservice: die Audiodeskription. Den Besuchern wird das Spiel über Kopfhörer beschrieben, und sie erfahren Details. Das ist Appels Job. Zusammen mit seinem Kollegen Hans-Peter Archner erläutert er das Spiel.

„Die Kurve ist wieder rappelvoll. Insgesamt sind 55 000 Fans im Stadion, eine volle Hütte“, erklärt er den knapp 20 Blinden und Sehbehinderten, die das Spiel an diesem Samstag in der Untertürkheimer Kurve mittels Audiodeskription verfolgen.

Diesen Service gibt es nun schon seit 2005 im Stadion des VfB. Bei jedem Heimspiel beschreiben zwei Reporter das Geschehen die gesamten 90 Minuten lang über Kopfhörer. „Wir haben 30 Plätze für blinde und sehbehinderte Fans und noch mal 30 Plätze für ihre Begleitpersonen, manchmal könnten wir auch gut 40 Plätze gebrauchen, aber so viele Empfangsgeräte für die Audiodeskription haben wir nicht“, erklärt Peter Reichert, der Fanbeauftragte des VfB .

„Immer wieder, wenn Daniel Didavi an den Ball kommt, wird es gut für den VfB. Der ist ein toller Typ“, hört Andi Kaiser über seinen Kopfhörer und freut sich. Er weiß auch, wie der Fußballer aussieht: „Daniel Didavi trägt giftgrüne Schuhe“, bekommt der 49-Jährige erklärt.

Ganz anders, als am Radio die Spiele zu verfolgen

„Die Audiodeskription ist einfach top! Total super“, sagt Kaiser, „es ist ganz anders, als am Radio die Spiele zu verfolgen.“ Das Tolle im Stadion sei die Atmosphäre und die Stimmung. Diese Mischung von Kulisse und Beschreibung sei durch nichts zu ersetzen. „Es werden ja auch die Laufwege genau beschrieben, das ist auch noch viel genauer als im Radio, wir sind immer genau auf Höhe des Balles“, sagt der blinde Fußballfan.

Kaiser hat seit knapp zehn Jahren eine Dauerkarte für die Heimspiele des Vereins. „Wir sind eine Clique von zehn blinden und sehbehinderten Fans mit unseren Begleitpersonen, und wir treffen uns hier alle zwei Wochen im Stadion.“ Manche fahren auch zu Auswärtsspielen. Audiodeskription gibt es mittlerweile bei allen Vereinen in der Fußball-Bundesliga.

Allerdings bedauert Kaiser, dass er mit seiner Gruppe in die Untertürkheimer Kurve umziehen musste. „Früher haben wir auf der Haupttribüne gesessen, das war noch mal ein anderes Feeling. In der Cannstatter Kurve wäre es für die Audiodeskription aber zu laut“, sagt der eingefleischte Fußballfan.

Er hält es für wichtig, eine Begleitperson mitzunehmen. „Sonst wäre das kein Genuss. Meine Frau ist auch ein richtiger VfB-Fan“, sagt der 49-Jährige.

Auch die Trikots werden genau beschrieben

65. Minute: „Und erneut ein Wechsel: Daniel Didavi verlässt den Platz. Es kommt: Moritz Leitner“, hört Andi Kaiser über seinen Kopfhörer. „Es ist ein bissiges Kämpfen im Mittelfeld. Es ist ein bissiges 0:0. Das spüren alle“, erläutert Hans-Peter Archner.

„Wir beschreiben ganz genau, wo der Ball gerade ist. Das ist anders als bei einer Radioreportage“, sagt Archner über seinen ungewöhnlichen Job und fügt hinzu: „Wir beschreiben zum Beispiel auch die Trikots genau. So etwas wollen die Fans auch wissen.“ Es steht noch immer 0:0. Kurz darauf ist das Spiel zu Ende, und Archner zieht Bilanz: „Die gute Nachricht ist, dass der VfB nicht verloren hat. Paderborn ist keine schlechte Mannschaft. Da werden sich noch viele die Zähne dran ausbeißen. Wir wünschen uns und unserem VfB, dass er in der Bundesliga bleibt.“

Appel und Archner – im Hauptberuf Journalisten beim SWR – machen die Audiodeskription für die blinden und sehbehinderten Fans nun schon viele Jahre: „Wenn wir das drei- oder viermal in der Saison machen, ist es immer sehr, sehr schön“, sagt Jürgen Appel. Es gibt mehrere Teams, und die wechseln sich ab. Hans-Peter Archner: „Es sind auch immer ganz tolle Reaktionen, die wir von den Fans bekommen. Wir haben ein sehr nettes Verhältnis untereinander. Viele sind ja auch schon seit Jahren dabei.“ Und Appel fügt hinzu: „Man muss nicht immer neutral sein. Wir können auch mal parteiisch sein für die Fans.“