Zwei Monate früher als geplant erscheint Björks neues Album Foto: dpa

Alle sind sauer: Das neue Björk-Album „Vulnicura“ sollte eigentlich im März erscheinen. Als alle neun Lieder der Platte aber illegal im Internet auftauchten, hat die Isländerin schnell reagiert.

Stuttgart/New York - Björk ist sauer. Ihre Plattenfirma ist sauer. Und auch Klaus Biesenbach ist sauer. Der Chefkurator des Museum of Modern Art in New York (MoMA), der dort auch schon einmal Kraftwerk auftreten ließ, hat eine große Björk-Retrospektive organisiert.

Pünktlich zur Veröffentlichung des neuen Björk-Albums im März sollte die multimediale Schau eröffnet werden – punktgenau eine spektakuläre Annäherung an diese außergewöhnlich mutige und fantasiebegabte Künstlerin leisten. Doch das Internet hat Biesenbach den Ausstellungscoup vermasselt. Nachdem die Lieder der neuen Björk-Platte „Vulnicura“ bereits am 18. Januar in illegalen Online-Tauschbörsen aufgetaucht waren, hat Björk den Veröffentlichungstermin vorverlegt. Biesenbachs tolles Timing ist damit futsch.

Die Ausstellung mit dem schlichten Titel „Björk“ ist bestimmt trotzdem großartig. Wie auch das Album „Vulnicura“, das nun seit Mittwoch digital bei iTunes erhältlich ist. Wie eigentlich alle Platten von Björk Guðmundsdóttir ist auch „Vulnicura“ eine Art Konzeptalbum. Diesmal orchestriert die 49-Jährige virtuos eine Trennungsgeschichte, vertont Sehnsucht und Schmerz, Hoffnung und Enttäuschung, Verlangen und Wut, zaubert vielschichtige Klangwelten hervor, die nicht ganz so ausufernd angelegt sind wie die Songs ihres letzten Albums „Biophilia“ aus dem Jahr 2011. Björk nutzt ein hochsensibles Klangvokabular, um chronologisch das Ende einer Beziehung zu inszenieren. In drei Songs nähert sie sich der Trennung, in drei Songs erzählt sie das Danach.

Das klassizistisch-romantische „Stonemilker“, bei dem Björk zunächst von einem Streichquartett und später von einem verschrobenen Loop begleitet wird, spielt beispielsweise neun Monate vor dem Ende, entwickelt eine herzergreifende Innigkeit, wenn Björk in dieser intensiven Stimmlage davon singt, dass Momente der Klarheit viel zu selten sind und dass sie davon träumt, Gefühle synchronisieren zu können.

Björk beschert auf „Vulnicura“ auch ein verstörend-schönes Duett mit Antony Hegarty („Atom Dance“), klammert sich mal mit entzückender Naivität an die Liebe („History Of Touches“), mal rechnet sie mit dieser ab: Der Neunminüter „Black Lake“ taucht in die Dunkelheit ein, die zwei Monate nach Trennung vorherrscht – ein langer Seufzer, der sich immer wieder Rhythmisierungen widersetzt, der sich dreht und windet und in dem Björk schließlich zur Rakete wird, die beim Eintritt in die Atmosphäre glühend allen Ballast abwirft: „I am a glowing shiny rocket / returning home / as I enter the atmosphere / I burn off layer by layer / jettison.“

Tatsächlich hatte sich Björk zuletzt in „Biophilia“ in die Unendlichkeit des Alls gewagt. Nun erkundet sie zwar nicht die Weite, sondern die Tiefe. Doch auch wenn sie sich wie in „Vulnicura“ eines eher konventionellen Popthemas annimmt, dem Pulsschlag gebrochener Herzen nachspürt, eröffnet sie ihren Zuhörern dabei einen unerhört-feinsinnigen Klangkosmos. Björk schwebt in ihren sensiblen musikalischen Entwürfen einmal mehr schwerelos über allen Stilen, erschafft in ihren Songs eine die Sinne verwirrende Komplexität, verbindet Kunstlied und Breakbeat, Minimal Music, Pop und Elektro zu einem spektakulär-intimem Meisterwerk.

Björks Album „Vulnicura“ (One Little Indian) ist digital über iTunes erhältlich; die Björk-Retrospektive ist vom 8. März bis zum 7. Juni im MoMa in New York zu sehen: www.moma.org.