Der gebürtige Stuttgarter Martin Kobler in Aktion während seiner Libyen-Mission in Tripolis Foto: AFP

Der bisherige UN-Sondergesandte Martin Kobler sieht die fehlende Staatsgewalt in Libyen als Ursache von Terror und Flüchtlingselend. Die internationale Staatengemeinschaft ziehe nicht an einem Strang, kritisiert er.

Stuttgart - Ein Schlüssel zur Lösung der Flüchtlingskrise liegt in Libyen. Die EU will nun die Küstenwache dort stärken – und zäumt damit nach Ansicht des bisherigen UN-Sondergesandten in Libyen, Martin Kobler, das Pferd von hinten auf.

Herr Kobler, fast zwei Jahre haben Sie für die UN in Libyen vermittelt. Nun kehren Sie in den deutschen diplomatischen Dienst zurück. Mit welchen Gefühlen kehren Sie von Ihrer Libyen-Mission heim?
Ein bisschen melancholisch ist mir schon zumute, weil ich nicht nur die Libyen-Mission hinter mir lasse, sondern nach acht Jahren auch das UN-System, in dem tolle Leute aus aller Welt zusammenarbeiten. Was Libyen betrifft, habe ich in Gestalt des früheren libanesischen Kulturministers Ghassan Salame einen hervorragenden Nachfolger, der nun danach schauen wird, dass es hier vorangeht. Aber das ist natürlich nicht einfach: Wir haben als UN in Libyen keine Truppen, sondern nur die Macht der Worte, um einen funktionierenden Staat aufzubauen.
Warum ist das so schwer?
Libyen war nie ein einheitlicher Staat. Muammer al-Gaddafi hat 42 Jahre lang nur die Illusion eines Staates erzeugt. Man muss jetzt viele lokale Machthaber und Milizen einbinden, um einen funktionierenden Staat zu errichten. Das geht nicht von heute auf morgen. Deshalb muss man immer wieder neue Wege ausprobieren – denn am Ende müssen alle Libyer zustimmen.
Vor wenigen Tagen ist ein UN-Konvoi beschossen worden. Sind Sie auch ein bisschen froh, die Gefahrenzone jetzt zu verlassen?
Wir wissen, dass unser Job gefährlich ist. Damit die Libyer selbst wieder Zutrauen in die Zukunft bekommen, darf man sich nicht verbarrikadieren. Ich bin auf Märkte gegangen, habe in Tripolis eingekauft und im Land draußen Flüchtlingslager und Haftzentren besucht – dieses Risiko musste ich eingehen. Und die Kollegen tun das auch.
Wie bewerten Sie die aktuelle Sicherheitslage?
Dank der Vorarbeit meines Vorgängers konnten wir mit dem politischen Abkommen vom November 2015 den Bürgerkrieg beenden. Das hat die Sicherheitslage deutlich verbessert. Weil aber noch eine einheitliche staatliche Autorität fehlt, bleibt die Situation fragil. Die Attacke auf unseren Konvoi 70 Kilometer außerhalb von Tripolis zeigt ja, dass Milizen das Land beherrschen – von Ausnahmen abgesehen. Die Lage ist besser im Osten, wo General Khalifa Haftar mit seiner Armee das Sagen hat. Ein großer Fortschritt ist es, dass der sogenannte Islamische Staat zurückgedrängt werden konnten und über kein zusammenhängendes Gebiet mehr verfügt. Leider ist das nicht gleichbedeutend mit dem Ende des Terrors, da es zahlreiche Schläferzellen gibt.
Wie steht es wirtschaftlich um Libyen?
Libyen ist das ölreichste Land in Afrika – das ist Chance und Fluch zugleich. Es kommt Geld in die Kasse. Schon in den Monaten nach dem Bürgerkrieg hat sich die Produktion fast verfünffacht: von 200 000 auf eine Million Barrel am Tag. Wenn sich die Sicherheitslage weiter verbessert, bietet das Öl ein großes Potenzial für die Zukunft. Im Geflecht von Öl-Interessen, Kriminalität, Machtfragen und der ungeklärten Rolle der libyschen Zentralbank eine politische Übereinkunft zu finden, ist damit aber auch schwieriger als anderswo.
Bekommen die UN genug Unterstützung?
Die zwei libyschen Themen, die die internationale Gemeinschaft interessieren, sind der Kampf gegen den Terror und die Flüchtlinge. Aber leider ist die Einsicht nicht sehr weit verbreitet, dass man an die Grundursachen ran muss, wenn man bei diesen Themen Fortschritte erzielen will. Wenn man keine staatliche Einheit, keine Armee, keine Polizei und keine Anti-Terroreinheiten unter einem einheitlichen staatlichen Kommando hat, werden sich weder das Terrorproblem noch die Flüchtlingskrise lösen lassen. Da würde ich mir tatsächlich mehr Engagement der internationalen Gemeinschaft wünschen.