Birkach vor dem Ersten Weltkrieg: Oben und rechts ein Blick auf die evangelische Franziskakirche mit dem Pfarrhaus, links unten das ehemalige Rathaus an der Alten Dorfstraße. Foto: privat

Wie war Birkach im Kriegsjahr 1915? Hans-Werner Carlhoff hat im Stadtarchiv in Leinfelden-Echterdingen recherchiert, wie es damals um seinen Heimatbezirk bestellt war. Gefunden hat er einiges – und es aufgeschrieben.

Birkach - Es waren Worte, die im Zweiten Weltkrieg den Kopf gekostet hätten. In einer im „Filder-Boten“ veröffentlichten Todesanzeige vom 23. Januar 1915 ist vom „unglücksseligen Krieg“ die Rede, dem der Birkacher Ernst Würtele zum Opfer gefallen sei. Seine Eltern bezeichnen sich als „schwer heimgesucht“ und beklagen das Schicksal der nun verwaisten Enkelkinder. Von Kriegsbegeisterung und Hurra-Patriotismus ist in diesen Zeilen nichts zu lesen. Der persönliche Schmerz wird als solcher auch ausgedrückt, offenbar ohne Angst vor staatlicher Repression. „Hätten sie so etwas nach 1939 veröffentlicht, wäre das wohl Wehrkraftzersetzung gewesen“, sagt Hans-Werner Carlhoff.

Zehn Vormittage hat er recherchiert

Der Birkacher hat die Todesanzeige bei seiner Recherche im Stadtarchiv Leinfelden-Echterdingen gefunden. Dort hat er nach historischen Spuren aus dem Kriegsjahr 1915 gesucht. „Birkach war bis 1942 ja noch kein Teil Stuttgarts, deshalb habe ich in Leinfelden-Echterdingen gesucht, weil Birkach ja auf den Fildern liegt“, sagt Hans-Werner Carlhoff.

Zehn Vormittage habe er in dem Stadtarchiv verbracht, um sich anhand der existierenden Quellen ein Bild von Birkach im zweiten Kriegsjahr zu machen, sagt Carlhoff. Der frühere Sektenbeauftragte des Landes Baden-Württemberg schreibt für das Lokalblatt „Birkacher Notizen“. Im März wird der studierte Politikwissenschaftler und Historiker die Schlussfolgerungen seiner Recherchen veröffentlichen.

Vorab lässt Hans-Werner Carlhoff durchblicken, dass ihn vieles während seiner Recherche berührt und auch überrascht hat. Für ihn steht fest, dass sich in Birkach bereits im zweiten Kriegsjahr die Begeisterung für den Krieg in Grenzen hielt. Hans-Werner Carlhoff glaubt, dass die Landbevölkerung im Deutschen Reich insgesamt weniger von der Propaganda durchdrungen war, weil diese sie schlichtweg weniger erreicht hat. Massenmedien, die Stimmungen beeinflussen konnten, gab es damals auf dem Land praktisch kaum. Zum anderen spürte die Landbevölkerung schnell, was der Krieg an Entbehrungen bedeutete. „Die Männer fehlten auf den Feldern, die Arbeit mussten die Frauen erledigen“, sagt Carlhoff. Bereits zwei Jahre vor der Hungersnot im berüchtigten Steckrübenwinter 1916/1917 machte sich die Verknappung von Lebensmitteln auf den Fildern bemerkbar.

Die Verlustlisten wurden länger und länger

So hieß es im „Filder-Boten“ am 7. Januar 1915: „In ein deutsches Haus gehört in dieser Zeit kein Kuchen.“ In einem Beitrag vom 15. Februar wird angemahnt, Kartoffeln nicht zu schälen, sondern die Schale mitzuessen, da dies sonst eine Vergeudung sei. Im August 1915 wurde die Bevölkerung aufgerufen, Hagebutten und Waldbeeren zu sammeln, um so zur Nahrungssicherung beizutragen.

Der Staat forderte von seinen Bürgern Tribut, um die Versorgung der Truppen im Feld zu gewährleisten. Am 1. Februar wurde im „Filder-Boten“ eine Beschlagnahmung der Vorräte an Brotgetreide bekannt gegeben. Auch Metalle wurden in Birkach eingesammelt, ohne die der Staat keine Kanonen oder Gewehre produzieren konnte.

Das ferne Sterben auf den Schlachtfeldern in Frankreich, an der Ostfront oder in den überseeischen Kolonien nahm derweil immer größere Ausmaße an. Die Verlustlisten wurden in stets kleineren Schriftarten im „Filder-Boten“ veröffentlicht, weil sie sonst keinen Platz in der Zeitung gefunden hätten. Von Frühjahr 1915 an wurden nur noch die betroffenen Truppenteile genannt. Der „unglücksselige Krieg“ vernichtete allzu fleißig Leben.