>Übersinnliche Kräfte? Nein, nur ein nach unten durchgereichter Schauspieler, der mit etwas Größenwahn wieder ganz nach oben will: Michael Keaton in „Birdman“ - weitere Eindrücke aus dem Film in unserer Bildergalerie. Foto: Verleih

Von Hollywood an den Broadway: Alejandro González Iñárritu blickt in „Birdman“ hinter die Kulissen der Traumfabriken. Michael Keaton glänzt als abgehalfterter Hollywood-Star, der nach unten durchgereicht wurde und mit einer Broadway-Produktion wieder ganz nach oben will.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "Birdman"

Einer wie er lacht über die Schwerkraft. Riggan Thompson, Schauspieler mit großer Hollywood-Vergangenheit, schwebt beim Meditieren über dem Boden; die Dinge in seiner Garderobe bewegt er per Fingerzeig. Das sind die ersten Bilder, die uns Alejandro González Iñárritu vom Helden seines neuen Films zeigt. Übersinnliches vom Regisseur, der beklemmend wie kaum ein anderer Gewalt und Leiden inszenieren kann?

» Trailer zum Kinofilm "Birdman"

Doch von der ersten Einstellung an spürt man, dass mit dem abgehalfterten Star etwas nicht stimmt, ahnt bei allem Humor die Abgründe, die in „Birdman“ lauern. Auf sie treiben ein nervös drängendes Schlagzeug und eine rauchig-tiefe Stimme aus dem Off Riggan Thompson ohne Erbarmen zu. Als der Schlagzeuger später in einem Gang des Broadway-Theaters trommelt, in dem Thompson seine Karriere neu ankurbeln will, und als auch die Stimme hinter ihm Gestalt annimmt, ist klar: Thompson kommt aus dem Beziehungsdrama, das ihn groß herausbringen soll, nicht heil heraus.

Nicht übersinnliche Macht, eine gespaltene Persönlichkeit heizt diesen Film auf. Einst war Thompson ein Hollywood-Star; in der Rolle des Comic-Helden Birdman hob er ab, um die Menschheit zu retten. Diese Figur schleppt der Schauspieler mit sich wie ein Kriegsveteran seine Heldentaten. Und wie ein Krieger will Thompson nochmals in die Schlacht ziehen. Dieses Mal in eine echte, an deren Ende er als Charakterdarsteller gefeiert werden soll: Am Broadway dramatisiert er eine Erzählung von Raymond Carver, führt selbst Regie, spielt die Hauptrolle.

Selbst wenn der Birdman in ihm über das schäbige Theater mault: Thompson erzwingt den Erfolg auf den Brettern, die auch einem Schauspieler die Welt bedeuten, mit allen Mitteln, erst mit fallenden Scheinwerfern, die einen untalentierten Kollegen lahmlegen, dann noch radikaler. Er will unbedingt zurück ins Rampenlicht und umgibt sich dafür mit Stars und Lügen. Nur seine Tochter ätzt ihm die Wahrheit ins Gesicht: Nach all den Auftritten im Vogelkostüm haben die Leute schlicht vergessen, wer da überhaupt drinsteckte.

Klar, dass in einem Film mit dem Untertitel „Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit“ bei diesem Comeback schiefgeht, was schiefgehen kann. Michael Keaton balanciert als abgehalfterter Star so grandios am schmalen Grat zwischen Absturz und Größenwahn, dass Mitleid meist richtiger scheint als Lachen. Keaton, der 1989 als Batman zu Ruhm kam, weiß, wie es sich anfühlt, wenn man nach unten durchgereicht wird. Und so spielt er diesen durchgeknallten Schauspieler mit fast beängstigender Präzision, die neben einem Golden Globe und anderen Auszeichnungen sicherlich auch Oscar-Folgen haben wird – zu Recht.

Dass Michael Keaton selbst der Durchbruch als Action-Superheld gelang, ist eine eher versteckte Ironie; ansonsten spielt Alejandro González Iñárritu mit offenen Karten in einem Film, der fragt, welche Verfallszeit Ideale haben dürfen. Die Folie dafür sind Hollywood, das Theater und alle Klischees über diese Traumfabriken. Was ist größer – Kunst oder Leben, Leinwand oder Bühne?

Wir sehen Schauspieler, die zu Größenwahn neigen, aber am Leben scheitern. Eine echte Rampensau etwa ist der Ersatzmann, den man kurz vor der Premiere verpflichtet. Edward Norton spielt ihn mit kühnster Arroganz, ein unberechenbares Bühnentier, das bei laufender Vorstellung säuft und Kollegen beschimpft, dem im Licht der Scheinwerfer alles brillant gelingt, was es im Leben nicht hinkriegt.

Dann gibt es natürlich die Kritiker, die entweder keine Ahnung haben oder sich mit Roland Barthes schmücken, auf alle Fälle aber in Schubladen denken. „Ich werde ihr Stück vernichten“, weiß die „Times“-Theaterpäpstin, bevor sie nur eine Szene gesehen hat; Gastarbeiter aus Hollywood haben am Broadway eben nichts verloren. Viel mehr Einfluss haben heute die Fans, das bekommt auch Thompson zu spüren, ihre Handys und soziale Netzwerke machen peinlichste Situationen zu Werbung. Das alles zerpflückt der mexikanische Regisseur mit großer Lust, um es zu einer Hommage an echte Schauspielkunst neu zusammenzufügen.

Dafür braucht er ein geniales Team – und hat es auch: Zach Galifianakis gibt den schmierigen Manager, der nett ist, solange die Kasse stimmt. Naomi Watts spielt eine nervöse, von Selbstzweifeln geplagte Künstlerin. Emma Stone ist Thompsons Tochter, ein Ex-Junkie und die einzig Normale in einem Käfig voller Narren. Und allen lauert die Kamera auf, als wäre sie ein Raubtier. Die Bestie aber lauert in Birdman selbst, die innere Stimme mault über den Exkurs ins ernste Fach: „Die Leute wollen Action und Blut. Nicht diesen philosophischen Scheiß.“

Was sonst noch im Kino in Stuttgart läuft, finden Sie in unserem Kino-Programm.