Integrationsministerin Bilkay Öney sieht in der Flüchtlingswelle eine Herausforderung für Jahrzehnte Foto: dpa

Regierungspräsidien und Landkreise haben sich zuletzt mehrfach über zu kurzfristige Zuweisungen von Flüchtlingen beklagt. Integrationsministerin Öney weist die Vorwürfe jetzt zurück – und fordert eine geänderte Verteilung der Asylbewerber bundesweit.

Stuttgart - Frau Öney, wie kann man in Zukunft ständige Bustouren der Flüchtlinge von einer Notunterkunft zur anderen vermeiden?

Indem wir weitere Erstaufnahmeeinrichtungen vor allem in leerstehenden Kasernen aufbauen und so künftig weniger auf Notunterkünfte angewiesen sind. Bei täglichen Zugängen von 500 Personen und mehr lassen sich Transfers aber nicht vermeiden. Von „ständigen Bustouren“ kann allerdings keine Rede sein. Vermutlich beziehen Sie sich in Ihrer Frage auf die kurzfristige Verlegung von 500 Flüchtlingen von Stuttgart nach Offenburg am vergangenen Mittwoch. Wir mussten notfallmäßig Hallen in Stuttgart und Offenburg in Anspruch nehmen, die jeweils nur kurzzeitig zur Verfügung standen.
Von Regierungspräsidien, Landkreisen und Kommunen kam zuletzt mehrfach der Vorwurf, dass Entscheidungen viel zu kurzfristig und ohne Rücksprache erfolgen.
Diese Behauptung höre ich oft, sie stimmt aber nicht. Wir stehen in regelmäßigem Austausch mit allen Beteiligten. Aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen und des Migrationstempos, das wir als Land nicht beeinflussen können, sind manchmal kurzfristige Maßnahmen nötig, die wir schnell umsetzen müssen. Auch die Kreise selbst müssen derzeit wie alle anderen Stellen rasch auf aktuelle Entwicklungen reagieren.
Viele Kreise können die zugewiesenen Flüchtlinge kaum noch unterbringen. Muss sich an den Quoten etwas ändern?
Die Diskussion auf EU-Ebene zeigt uns, dass dort viele Länder auf freiwilliger Basis keine oder nur sehr wenige Flüchtlinge aufnehmen wollen. Zwischen den Bundesländern oder auch zwischen den Landkreisen halte ich die Verteilung von Flüchtlingen auf solidarischer Basis kaum für umsetzbar. Es bleibt also keine andere Möglichkeit, als nach Quoten zu verteilen. Allerdings muss man bei den derzeitigen Zugängen über eine Revision des Königsteiner Schlüssels nachdenken. Momentan werden rund die Hälfte aller Flüchtlinge in den drei bevölkerungsreichsten Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg untergebracht, wo Wohnraum stellenweise sowieso knapp ist. Ob das sinnvoll ist, ist fraglich.
Stuttgarts OB Kuhn hat jüngst gefordert, bei der Verteilung innerhalb des Landes nicht nur auf Einwohnerzahl, sondern auch auf verfügbare Flächen zu achten. Was halten Sie davon?
Wir sind für Vorschläge offen, das haben wir mehrfach gesagt. Voraussetzung wäre, dass sich die Stadt- und Landkreise auf einen neuen Schlüssel bei der Verteilung einigen. Das ist bislang nicht geschehen. Das Flüchtlingsaufnahmerecht müsste dann entsprechend angepasst werden.
Das Land hat den Ausbau der Kapazitäten für die Erstaufnahme auf 20 000 Plätze angekündigt. Wird das ausreichen?
Wir haben die Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen seit 2011 bereits mehr als verzehnfacht und treiben den Ausbau weiter voran. Das ist aber nur das eine. Der hohe Migrationsdruck ist das andere, und darauf haben wir keinen Einfluss. Das Sinnvollste wäre, die Asylverfahren so stark zu beschleunigen, dass eventueller Asylmissbrauch im Vorfeld verhindert werden kann. Die Schweiz strebt 48 Stunden an. Mit dieser Maßnahme wären verfassungsrechtlich bedenkliche Leistungskürzungen nicht mehr notwendig. Wir haben als Land beschlossen, die Verfahrensschritte in der Erstaufnahme künftig auf zehn Arbeitstage zu beschleunigen. Nun muss auch der Bund, der die Asylverfahren bearbeitet, seinen Teil zur Entlastung beitragen. Durch schnellere Verfahren würden die Erstaufnahmen direkt entlastet, aber es würde auch ein Signal in die Länder ausgehen, aus denen Menschen mit niedrigen Anerkennungsquoten kommen.
Wie entwickeln sich die Kosten?
Das Finanzministerium ist gerade dabei, den Haushalt an die aktuellen Zugänge anzupassen. Wir erwarten Ausgaben von über einer Milliarde Euro jährlich.
Anerkannte Asylbewerber brauchen Wohnungen. Folgt da bereits das nächste Problem?
Die steigenden Flüchtlingszahlen haben große Auswirkungen auf den Wohn- und Arbeitsmarkt, aber auch auf Schulen, Behörden und Polizei. Überall muss nachgesteuert werden. Die große integrationspolitische Aufgabe wird uns noch die nächsten Jahrzehnte beschäftigen.
Ist das Land mit der Situation überfordert?
Wir sind seit Jahren gefordert und stellen uns dieser Herausforderung mit außerordentlichem Engagement. Wir bringen viele Ideen ein, wie die Verfahren noch effektiver laufen könnten bei EU, Bund und auch hier.
 

Zur Person Bilkay Öney

1970 in Malatya (Türkei) geboren.

1989 macht sie das Abitur am Carl-Friedrich-von-Siemens-Gymnasium in Berlin-Spandau, anschließend studiert sie Betriebswirtschaftslehre und Medienberatung an der TU Berlin.

Von 2006 bis 2011 ist sie Abgeordnete im Abgeordnetenhaus von Berlin, zuerst für die Grünen, 2009 wechselt sie zur SPD.

Seit Mai 2011 ist sie Ministerin für Integration in Baden-Württemberg. (StN)