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Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer und Schulleiterin Karin Winkler im Gespräch.

Freie Schulwahl, Wiedergeburt von G9: Die grün-roten Schulreformen lassen auch die Gymnasien nicht unberührt. Was aber bedeuten sie für die Betroffenen - und für das gymnasiale Bildungsideal? Das Forum Bildung unserer Zeitung gibt Antworten aus erster Hand.

Der Hauch des Exklusiven ist längst verraucht. 40 Prozent der Grundschüler wechseln mittlerweile auf diese Schulart, und der Trend hält an: Das Gymnasium ist zur eigentlichen Hauptschule geworden. Erhalten hat sich allerdings das Leistungsbewusstsein - und das wird den Schülern nicht zuletzt am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium (Ebelu) in Stuttgart vermittelt.

Als Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer dort am Mittwoch erläutert, warum Grün-Rot die bisher verbindliche Grundschulempfehlung abschafft, reagieren die 200 Lehrer, Eltern und Schüler erst einmal reserviert. "Das Thema bewegt uns, die Anmeldungen stehen vor der Tür", sagt Schulleiterin Karin Winkler. Aber das Gymnasium sei eben nicht für alle Kinder geeignet: "Warum vertrauen Sie nicht auf die Professionalität der Grundschullehrer?"

Die Ministerin kennt das. Seit Monaten zieht sie durch die Lande und versucht die Furcht zu zerstreuen, Gymnasien würden von Ungeeigneten überrannt. "Ich glaube das nicht", sagt sie. Beraten würden die Eltern ja weiterhin, nur die Empfehlungen seien nicht mehr verbindlich. Das aber ist für sie eine grundsätzliche Frage: "Ich halte es für ein originäres Elternrecht zu entscheiden, welche Schule ihre Kinder besuchen."

Nun rühren sich die ersten Hände, und der Beifall steigert sich, als Warminski-Leitheußer erzählt, wie sie einst als Arbeiterkind in Nordrhein-Westfalen fast vom Besuch der höheren Schule abgehalten wurde. "Die Lehrer sagten meinem Vater: Wie wollen Sie Ihrem Kind helfen?" Weil deren Empfehlung nicht verbindlich war, hat sie dann doch Abitur - und Karriere - gemacht.

"Ich gehe immer davon aus, dass Eltern das Beste für ihr Kind wollen", sagt die hochgewachsene, blonde Frau im grauen Hosenanzug, die keinen Zweifel aufkommen lässt, was für sie sozialdemokratische Politik bedeutet. Tipps aus der Praxis weist sie keineswegs zurück: Als etwa ein ehemaliger Schulleiter vorschlägt, man könne das Problem der richtigen Schulwahl dadurch lösen, dass Grundschul- und Gymnasiallehrer sich eng über neue Schüler austauschten, sichert sie Prüfung zu.

Die Ministerin wird konkret

Als die Moderatorin des Abends - die bildungspolitische Redakteurin unserer Zeitung, Maria Wetzel - nach der materiellen Unterstützung für die Gymnasien fragt, wird die Ministerin konkret: Ja, es gebe zusätzliche Stunden im sogenannten Pool. Die stünden zur Verfügung, um Schüler individuell zu fördern. Und der Bildungsplan werde überarbeitet. Wenn es dann trotzdem noch Probleme gebe, müsse man eben "an der Stellenschraube drehen".

Das kann sie, die gelernte Juristin, die sich selbst bescheinigt, kein Talent für den Lehrerberuf zu haben: den Eindruck vermitteln, alle Probleme seien lösbar. Auch die von G8? Warminski-Leitheußer lässt an der Schulzeitverkürzung eigentlich kein gutes Haar. "Unerträglichen Stress" bereite diese den Schülern und raube ihnen die Zeit für Musik, Sport, soziales Engagement und die Persönlichkeitsbildung überhaupt. Trotzdem wolle sie nicht alles zurückdrehen. Dafür sei schon zu viel Energie verbraucht worden. Doch einige Gymnasien - auf eine Zahl wollen sich Grüne und Rote demnächst einigen - dürften künftig auch den neunjährigen Weg gehen.

Viele Eltern wünschten sich das, versichert die Kultusministerin. Im Ebelu-Auditorium findet das allerdings nur vereinzelt Widerhall, wie die anschließende Fragerunde zeigt. Auch Schulleiterin Winkler entgegnet: "Ein Zurück zu G 9 ist keine gute Lösung." Sie sehe auch keine Möglichkeit, wie man etwa am Ebelu neben dem "relativ gut funktionierenden G 8" auch noch einen neunjährigen Zug oder gar eine Gemeinschaftsschule einrichten könne - ein weiteres Reformbaby von Grün-Rot.

Die Pädagogin befürchtet vielmehr, dass die Landesregierung zu viel Geld in ihre zahlreichen bildungspolitischen Baustellen verteilt, anstatt das bestehende Haus auf Vordermann zu bringen: "Die Entwicklung von unten ist gut, aber werden so nicht Ressourcen verschlissen?" Zum Bildungsauftrag der Gymnasien gehöre schließlich auch die Spitzenförderung. Die aber scheitere oft am Personal - ein Problem, das in der Diskussionsrunde auch zahlreiche andere Schulleiter ansprechen.

Warminski-Leitheußer ist präpariert. Bei der festen Krankheitsreserve sei Baden-Württemberg bundesweit Schlusslicht, deshalb werde sie die Stellen um 200 pro Jahr aufstocken. Doch dann wird die Ministerin erneut grundsätzlich, damit auch der letzte im Saal begreift, dass ein Regierungswechsel stattgefunden hat: Die Gesellschaft habe sich weiterentwickelt, sagt sie: "Deshalb muss sich auch das Schulsystem weiterentwickeln." Die Gemeinschaftsschule richte sich folglich vor allem an jene, die bisher nicht ausreichend gefördert wurden.

Und die Eliteförderung? Die will sie beibehalten. Außerdem soll an jedem Musikhochschulstandort ein Musikgymnasium entstehen. "Ich werde alles unterstützen, was zu mehr Bildungserfolg führt", sagt sie. Die einzige Grenze sei das Geld. "Um jeden Cent" wolle sie deshalb kämpfen. Deutschland gebe ohnehin zu wenig für Bildung aus.

Deshalb verspricht die Ministerin, die Lehrerstellen, die infolge des Schülerrückgangs frei werden, nicht zu streichen. Deshalb will sie die Kürzungen der Vorgängerregierung bei der Fortbildung von Pädagogen wieder zurücknehmen. Ein großes Rad, wie Schulleiterin Winkler anmerkt - zumal diese sich dringend eine bessere Ausstattung ihrer Schule wünscht. "Haben sie weiter die Kraft, daran zu drehen", sagt sie und zitiert John F. Kennedy: "Es gibt nur eines, das teurer ist als Bildung: keine Bildung."