Oliver Samwer hat frischen Wind in die Gründerwelt gebracht. Foto: dpa-Zentralbild

Die Bilanzzahlen zeigen bei Flaggschiffen wie Hello Fresh gute Perspektiven. Doch die Verluste haben sich im Vergleich zu 2016 drastisch erhöht und Firmenchef Samwer bleibt unter Druck.

Stuttgart - Der Einfluss von Oliver Samwer auf die Start-up-Kultur in Deutschland kann man kaum überschätzen. Als der heute 44-jährige Samwer, der zuvor unter anderem mit dem Klingelton Start-up Jamba ein paar Millionen gemacht hatte, im Jahr 2007 seine Start-up-Schmiede Rocket Internet gründete, und ein Jahr später in Berlin mit dem Online-Versand von Schuhen begann, begann der Start-up-Boom in der Hauptstadt gerade erst. Hemdsärmelig, aggressiv, großspurig – ganz amerikanische Schule – brachte er frischen Wind in die deutsche Gründerwelt. „Wir lieben einfach die Geschwindigkeit – wie in der Formel 1“ oder „Wir akzeptieren nicht, dass wir nicht gewinnen können“, so lauten typische Samwer-Zitate. Die Börsengänge von Rocket Internet und des des Online-Händlers Zalando im Herbst 2014 krönten den Aufstieg. Doch während sich der Wert der Zalando-Aktien verdoppelt hat, hat sich der Kurs von Rocket Internet seither mehr als halbiert.

Die aktuelle Bilanz sendet gemischte Signale

Die am Dienstag vorgelegten Bilanzzahlen sendeten gemischte Signale. Die Verluste stiegen von 198 Millionen Euro auf 741,5 Millionen Euro. Doch es gibt Lichtblicke: Beim Anbieter von Kochboxen, HelloFresh, stieg der Umsatz um fast 96 Prozent auf 597 Millionen Euro. Auch Delivery Hero, eine Online-Plattform für Essenslieferungen, konnte den Umsatz um fast 80 Prozent auf 297 Millionen steigern. Im Bereich Wohnen konnten die beiden Plattformen Westwing und Home24 ihre Verluste Rocket Internet zufolge verringern. Samwer sieht die Firmen „auf dem Weg in Richtung Profitabilität“.

Von Anfang an war über das Geschäftsmodell der so genannten Start-up-Schmiede gelästert worden. Im wesentlichen kopierte man Erfolgsideen aus den USA und brachte sie auf noch unerschlossene Märkte etwa in Schwellenländern. Die meisten der rund 100 Online-Start-ups in Europa, Asien und Afrika, an denen man beteiligt ist, beschäftigten sich mit Online-Dienstleistungen aus dem Bereich Essenslieferung oder Konsumgüter.

Doch während Firmen wie Amazon oder Uber jahre- oder gar jahrzehntelang rote Zahlen schreiben durften, ohne von ihren Investoren abgestraft zu werden, ist der Langmut von wichtigen Geldgebern bei Rocket Internet nun vorbei. Im Februar verkaufte der Anker-Investor, die schwedische Kinnevik-Gruppe, die Hälfte ihrer Anteile an Rocket Internet – mit einem deutlichen Abschlag auf den Aktienkurs. Damit machten die Schweden immer noch einen satten Gewinn, aber sie machten auch deutlich, dass sie die Geschichte von Rocket Internet für ausgereizt halten. Die Schweden haben Anfang Mai eine neue Möglichkeit, um sich von weiteren Anteilen zu trennen, die immerhin noch rund sechs Prozent betragen. Ob sie die von Samwer nun vorgelegten, teilweise deutlich gestiegenen Umsätze von besseren Perspektiven überzeugen können, ist offen.

Börsengänge sind offen

Ursprünglich sollten Börsengänge der Essenslieferanten Hello Fresh und Delivery Hero Geld in die Kasse spülen. Bei letzterem ist immer noch von diesem Jahr die Rede. Doch die meisten Start-ups von Rocket Internet sind weit von der Profitabilität entfernt. Nun rächt sich, dass Samwer zwar amerikanische Start-up-Methoden propagiert, aber nie in die Dimensionen der großen US-Akteure vorgestoßen ist.

Konkurrenten legen hier gerne den Finger in die Wunde. Der Chef des Hamburger Versandhändlers Otto teilte jüngst im „Handelsblatt“ kräftig aus: „Anfangs empfand ich Rocket durchaus als Segen, weil es den Boden bereitet hat“, sagte Michael Otto: „Mittlerweile sehe ich die Performance der Firma als eher belastend.“ Firmenchef Samwer verspreche viel – und halte wenig. Der hat inzwischen einen Strategieschwenk eingeleitet. Die bisher auf den Endkunden fixierten Berliner haben nun Geschäftskunden im Visier. Diese Kunden haben speziellere Bedürfnisse und springen nicht gleich wieder ab.

Firmenkunden versprechen mehr

Das neue Start-up Instafreight soll Aufträge für Spediteure makeln. Inzwischen entdeckt man bei Rocket Internet sogar, dass es lukrativer sein kann, über Start-up-Gründungen zu reden und bei ihnen zu beraten, als selber zu gründen. Nicht alles will Rocket Internet mehr selber hochziehen: Bei Lemoncat, einer Catering-Plattform für kommerzielle Kunden, stieg man als Investor ein. Und mit seiner Agentur RCKT präsentiert sich Rocket Internet als Experte, wenn es um den digitalen Wandel geht und darum, mehr Innovationsgeist in die Unternehmen zu bringen. Zu den Kunden zählen Firmen wie L’Oréal, Bahlsen und Google.