Veronica Beck bei einem ihrer vielen Hobbys: Drachen steigen lassen auf der Alb. Foto: Robin Daniel Frommer

Nach knapp 40 Jahren als Lokalpolitikerin scheidet Veronica Beck aus dem Bezirksbeirat von Stuttgart-Ost aus. Aber ganz zieht sich die energische, 76 Jahre alte Frau noch nicht zurück.

S-Ost - Ihr rotes Auto quillt an diesem Tag fast über: Veronica Beck hat den Fond ihres Wagens mit Leichtwind- und Figurendrachen dicht bepackt, dazu jede Menge unterschiedlich schwerer Leinen und ein Vorrat an Spindeln und Kohlefaserstäben. Bei Wind zieht es sie zu den Drachenflugtagen: Malmsheim, Hülben oder Leiberdingen sind dann die näher gelegenen Zielorte, doch selbst auf der dänischen Insel Fanø hat sie ihre selbst genähten und -konstruierten Drachen schon in den Himmel steigen lassen.

Unter den Drachenfliegern fühlt sich Veronica Beck, die Anfang der Woche ihren 76. Geburtstag feierte, schon lange sichtlich wohl. Aktiv ist sie aber keineswegs nur, wenn Wind aufkommt: In diesem Jahr hat sie sogar neue Freizeitbeschäftigungen für sich entdeckt: Mundharmonika und Ukulele, „um fit zu bleiben“. Sie nimmt regelmäßig Unterricht und besucht Workshops. „Das ist nicht einfach, aber wie ‘ne Sucht“, sagt sie und lacht herzlich. „Jetzt, mit 76 werde ich mit dem Segeln und mit dem alpinen Skifahren aufhören. Ich will selbst bestimmen wann!“ Selbstbestimmung geht ihr über alles – auch in ihrem Beruf als Waldorflehrerin und als Vorsitzende des interkulturellen Schülerhorts Lichtstube samt Kindertagesstätte im Stuttgarter Osten. Genau hier will sie mit dieser anthroposophischen Einrichtung auch bleiben – mitten im sozialen Brennpunkt rund um Ostendplatz. Denn: „In ihrem Ursprung war die Waldorfschule für die Kinder der arbeitenden Bevölkerung gedacht“.

Der Besuch kultureller Veranstaltungen ist zu teuer

Von 1975 bis Mitte 2014 hat sie im Bezirksbeirat Stuttgart-Ost Verantwortung übernommen. Zunächst für die SPD, von 1990 an für die Grünen – weil es bei Abstimmungen keine Vorgaben der Partei gegeben habe. „Ich kann kein Diktat brauchen!“, sagt sie. Jetzt hat sie dieses Mandat „bewusst in jüngere Hände gegeben“ – und resümiert entspannt: „Es war ‘ne gute Zeit“. Seit 1986 ist sie Vorsitzende des Vereins Die Lichtstube. Begonnen hat sie mit Hausaufgabenbetreuung, noch in der Raitelsbergstraße, damit gerade Kinder mit Migrationshintergrund nicht mittags auf der Straße ihre Zeit vertun. Beck weiß nur zu gut: „Berufstätige Eltern haben oft nicht die Kraft, ihre Kinder selbst zu fördern.“ Manchen fehle es am Sprachverständnis, andere lebten in zu engen Wohnungen oder hätten kein Verständnis fürs Schulsystem, den Besuch kultureller Veranstaltungen könnten sich nur die wenigsten leisten. Die meisten seien froh, „wenn sich ein Hort um die Kinder kümmert“.

Ans Aufhören denkt Veronika Beck nicht

In der Lichtstube wird täglich für die Kinder gekocht. „Alles frisch. Es kommt eine Schüssel auf den Tisch und jedes Kind bekommt so viel zu essen, wie es möchte.“ Seit Anfang Oktober gibt es in der Lichtstube auch eine Kleinkindgruppe. Weichen musste dafür nach 27 Jahren eine Hortgruppe für Erst- bis Viertklässler, um nicht mit dem Angebot der Ganztagesschulen zu konkurrieren. Veronica Beck will mit ihrem Team aus ehrenamtlichen und angestellten Mitarbeitern auch den vollständigen Umbau der Lichtstube zur Kita stemmen: „Damit wir auch künftig – im Viertel um den Ostenplatz – Waldorf-Pädagogik anbieten können, denn manche Eltern sind topografisch so eng gestrickt, dass sie nie den Weg in die Waldorfschule auf der Uhlandshöhe fänden. Alle Kinder die bei mir sind, sollen Ärzte und Ingenieure werden – gerade Eltern mit Migrationshintergrund wünschen sich kaum etwas mehr, als den sozialen Aufstieg ihrer Kinder.“

Ans Aufhören denkt Veronica Beck auch mit 76 Jahren keineswegs: „Die Existenz eines Nachfolgers halte ich für ein Geschenk. Mein Beruf macht mir Freude – jeden Tag mit Menschen zusammen sein und eine Aufgabe, die Freude bereitet, das ist keine Last!“