Bier-Tasting ist nicht weniger überraschend als eine Weinprobe: Die Brauereien entwickeln Sorten, wo eben nicht eine wie die andere schmeckt Foto: Martin Stollberg

Ende Februar eröffnet am Stöckach das Craft-Beer-Haus Kraftpaule. Mit Sauerbier. Wen das locken soll? Bierkenner aus der ganzen Stadt, denn die Milchsäuregärung bringt ein schmackhaftes Bier zustande.

Stuttgart - Wenn Thorsten Schwämmle, Geschäftsführer im Bierhaus Kraftpaule, von Sauerbier spricht, geht es nicht um eine untrinkbare Plörre. Sauerbier wird nach einem speziellen Brauverfahren hergestellt, das neben der alkoholischen auch die bakterielle Milchsäuregärung nutzt. Auch die Lagerung in Fässern spielt eine Rolle. Sour Beer sei in den USA gerade schwer angesagt, so der Fachmann. Möglicherweise handelt es sich auch hierzulande um den nächsten Renner auf dem Craft-Beer-Markt.

In Amerika darf ein Craft-Beer-Brauer bis zu 9,5 Millionen Hektoliter pro Jahr produzieren. Mit Mikro- oder Handwerksbrauereien, wie sie in Deutschland mit Craft Beer in Verbindung gebracht werden, hat das nichts mehr zu tun. Auch den Hopfengehalt zum alleinigen Erkennungsmerkmal zu erklären ist kritisch. „Ich würde an einem anderen Punkt ansetzen“, sagt Schwämmle: „Es geht um größtmögliche Vielfalt bei hoher Qualität der Rohstoffe. Damit grenzt sich Craft Beer von einer industriellen Massenfertigung ab, die dazu führt, dass am Ende alles gleich schmeckt.“

Kraftpaule will Brauereien aus der Region unterstützen

Es versteht sich von selbst, dass eine Brauerei, die mit handverlesenen Zutaten arbeitet und nur begrenzte Mengen liefert, ihre Biere nicht zum gleichen Preis anbieten kann, wie ein großes Unternehmen, das auf preiswerten Hopfenextrakt zurückgreift. Dennoch soll Craft Beer kein Luxus sein, wie Thorsten Schwämmle betont. „Für mich hat das Interesse an kleinen Brauereien und an Bieren, die echte Geschmackserlebnisse bieten, in erster Linie einen alternativen Charakter. Und ich kann sagen: Es gibt keinen typischen Craft-Beer-Trinker.“ Selbst Leute, die sich eher für Wein interessiert hätten, würden die Unterschiede beim Bier entdecken. Kurzum: „Ich sehe Craft-Beer nicht als Trend, auch wenn das vielfach so dargestellt wird. Viele haben genug von Produkten, die zur Massenware verkommen sind. Das gilt für die Ernährung, aber auch für das Trinken.“

Kraftpaule will eine Anlaufstelle für alle Interessierten sein und Brauereien aus der Region unterstützen. Der bloße Vertrieb von deren Erzeugnissen ist allerdings nur ein Teil des Konzepts. „Erst dachten wir, ein Craft-Beer-Laden würde uns genügen, aber der Gedanke, auch einen Ausschank mit einzubinden war dann doch sehr verlockend“, blickt Schwämmle zurück.

Sechs Biere sind im Ausschank

Sechs Biere vom Fass wird man in der Nikolausstraße 2 am Stöckach im Sortiment haben. Hinzu kommen diverse Flaschenbiere. In einer meterhohen Wall Of Beer hält man die verschiedensten Craft-Spezialitäten auch zum Kauf bereit. Wenn alles gut läuft, kann man das Zwischengeschoss an zwei Hobbybrauer vermieten und Einblicke in die Kunst der Biergewinnung vermitteln. Das käme dem Geschäftsführer vom Kraftpaule jedenfalls sehr entgegen. er sieht das Bier-Haus als Mittelpunkt einer Gemeinschaft, die Brauereien und Kunden zusammen bringt. „Es gibt unheimlich viel zu entdecken“, schwärmt der erfahrene Craft-Beer-Freund „Ich erinnere mich an eine Veranstaltung, auf der ich 80 verschiedene Biersorten probiert habe. Die Gesamtmenge war aber immer noch weniger als zwei Maß auf dem Wasen.“

Neue Bier-Kultur

In den Bierzelten am Neckar werden die Craft-Beer-Spezialitäten wohl nie ankommen. Thorsten Schwämmle findet das nicht weiter schlimm. Im Gegenteil: „Das wäre ja schon wieder eine Umkehrung der Entwicklung, von der ich vorhin gesprochen habe. Bei uns sollen die Leute ein Bier bewusst trinken und schmecken.“ Aus Sendungsbewusstsein veranstaltet er deshalb das 1. Stuttgarter Craft-Beer-Festival, das am 23. April in der Konzertspielstätte Im Wizemann in Bad Cannstatt, Quellenstraße 7, stattfindet.

Der neue Treffpunkt am Stöckach könnte Impulsgeber für eine Rückkehr zu einer anderen Kultur des Biertrinkens sein. Neue Brauereien sieht Schwämmle aber noch nicht aus dem Boden schießen. „Eher werden mehr Leute auf ihren Anlagen zuhause brauen oder Rezepte entwickeln und ihr Bier dann anderswo herstellen lassen.“

Mit der Ansiedlung eines Craft-Beer-Riesen nach Berliner Modell, wo die Stone Brewing Company kürzlich für 25 Millionen Dollar ins ehemaligen Gaswerk Mariendorf einzog, ist eher nicht zu rechnen. „Ich weiß auch nicht, ob dass der Szene so gut tun würde“, überlegt der Stuttgarter Craft-Beer-Experte. Ihm ist es sympathischer, mit regionalen Größen wie der Schönbuch-Braumanufaktur zusammen zu arbeiten, die er sehr schätzt. Beim Festival im April soll eine ihrer neuen Bierkreationen Premiere feiern.