Bienen gelten als wichtige Nutztiere für die Honigproduktion und das Bestäuben von Pflanzen – doch wie viele müssen Anwohner in der Nachbarschaft dulden? Foto: dpa

Die Honigbiene ist arg gebeutelt. Milben und Nahrungsmangel machen ihr zu schaffen. Und jetzt stellen Nachbarn eines Imkers in Stuttgart die Frage: Wie viele Bienenvölker dürfen es in einem Wohngebiet denn sein? Dem Betroffenen droht eine Klage.

Stuttgart - Eine hübsche Wohngegend in einem Stadtteil von Bad Cannstatt. Kleine Einfamilienhäuser zieren die Straße. Überall großzügige Gärten und viel Grün. Und mittendrin ein ganz besonderes Stück Natur. Schon von weitem liegt ein Summen in der Luft, das immer lauter wird, je näher man kommt. Tausende Bienen schwirren in die Höhe. Ihr Zuhause haben sie im Hof vor einem der Häuser. Diverse Bienenkästen stapeln sich dort aufeinander. Von der Straße trennt sie nur eine Hecke.

Ein Umstand, der die Nachbarschaft auf die Palme bringt. Also hat sich ein halbes Dutzend Anwohner zusammengeschlossen, um dem Flugbetrieb ein Ende zu setzen. Nicht etwa, weil sie sich vor Stichen der Tiere fürchten, die als nicht aggressiv gelten. Vielmehr geht es um deren Hinterlassenschaften. „Während der Flüge werden die Exkremente direkt nach Verlassen der Bienen-Beuten entsorgt und verschmutzen zahlreiche Fenster, Autos und Gebäudefassaden in einem nicht tragbaren Umfang“, heißt es in einem Brief, den die Nachbarn dem Bienenhalter geschickt haben.

Außerdem bemängeln sie zahlreiche weitere Punkte. So seien die Völker nicht angemeldet, verfügten über keine Tränke, ihre Zahl überschreite „bei weitem das ortsübliche Maß“. Zudem stehe ihnen weniger Fläche auf dem Grundstück zur Verfügung als vorgeschrieben, auch die Mindestabstände zur Straße „gemäß Stuttgarter Polizeiverordnung“ würden nicht eingehalten. Das Fazit: „Es handelt sich um eine sehr große Beeinträchtigung und ein nicht tragbares Ärgernis.“ Man sei „empört“.

Frist bis Monatsende

„Wir haben mit dem Betroffenen gesprochen, er sieht das aber nicht ein“, sagt eine der Anwohnerinnen. Es handle sich um 17 Bienenvölker, die ihm noch nicht einmal selbst gehörten, sondern einem Imker in der Verwandtschaft. Man habe den Vorfall dem Veterinäramt gemeldet. Wenn der Bienenhalter nicht bis Ende Mai die Zahl der Völker erheblich reduziere, wolle man ernst machen: „Dann gehen wir zum Rechtsanwalt.“

Ein Einlenken dürfen die Nachbarn nicht so schnell erwarten. „Ich finde es schlimm, was da passiert, und werde darauf nicht eingehen“, sagt der Betroffene. Tatsächlich seien einige der Völker – es seien auch nur sieben – lediglich vorübergehend bei ihm untergebracht. Bereits in den Jahren zuvor habe er Bienen im Hof gehabt, eben weniger als jetzt. „Da gab es zum Teil Lob von denselben Leuten, die jetzt vor Gericht gehen wollen, weil die Obstbäume in der Gegend so schön bestäubt werden“, sagt er. Er habe den Leuten sogar angeboten, die Reinigung der Autos zu bezahlen, falls es einmal zu stärkeren Verschmutzungen komme. „Das ist aber ein Gartengebiet hier. Da muss man schon prinzipiell klären: Was wollen wir? Natur oder nicht?“, fragt der Bienenhalter.

Eine durchaus interessante Frage, gerade in der Großstadt. Und eine, die auch juristisch gar nicht so einfach zu klären ist. „Was im Wohngebiet erlaubt ist, bestimmen die Städte und Landratsämter“, weiß man beim Landesverband Württembergischer Imker. Normalerweise gebe es keinen Ärger wegen der Bienenhaltung, zumal die oft nicht direkt am Haus erfolge, sondern irgendwo im Grünen. „Zudem informieren sich die Imker vorher, was sinnvoll ist.“

Keine Polizeiverordnung

In Stuttgart gibt es entgegen des Briefes und entgegen mancher Hinweise, die sich im Internet finden, keine Polizeiverordnung zum Thema Bienen. „Eine solche Verordnung ist uns nicht bekannt“, sagt die Ordnungsamtschefin Dorothea Koller. Wer Bienen halten wolle, müsse sie lediglich bei der Stadt anmelden. Hintergrund sei, dass man den Imker dann informieren könne, wenn Tierseuchen herumgehen. „Bestimmungen über Mindestabstände oder Grundstücksflächen existieren nicht.“ Das Ordnungsamt wird also bei Streitigkeiten nicht eingreifen. „Wenn die Nachbarn einschreiten wollen, müssten sie privat klagen“, sagt Koller. Bei ihrem Amt gebe es zwar immer mal wieder Anfragen wegen Bienen, eine solche Eskalation habe man bisher aber nicht erlebt.

So geht es auch dem Stuttgarter Imkerverein. „Die absolute Mehrzahl der Imker in unserer Stadt kommt ohne Schwierigkeiten mit den Nachbarn aus. Das zeigt, dass es im Grunde keine Probleme gibt“, sagt der Vorsitzende Kurt Mailänder. Im Gegenteil würden sogar immer wieder Wünsche an den Verein herangetragen: „Regelmäßig suchen Gartenbesitzer oder Nutzer von Bürogebäuden in der Stadtmitte einen Imker.“ Der Trend geht zurück zur Natur.

Gerichte achten auf die örtlichen Gegebenheiten

Allerdings nicht in Bad Cannstatt. Er kenne den Fall, sagt Mailänder, der Betroffene sei aber nicht Mitglied des Vereins. Tatsächlich gebe es außer der Anmeldung in Stuttgart keine Vorschrift zum Halten von Bienen. „Allerdings hat sich im Laufe der Zeit eine gewisse Rechtsprechung herausgearbeitet, die stark auf die örtlichen Gegebenheiten eingeht“, weiß Mailänder. Gebe es irgendwo im Bundesgebiet Streitigkeiten, schauten die Gerichte auf Punkte wie den Abstand zum Nachbargrundstück, dessen Nutzung, die Flugrichtung der Tiere oder die Anzahl und Art der Bienenvölker. „Dadurch gibt es in Wohngebieten sehr wohl Grenzen für eine Bienenhaltung“, sagt Mailänder.

Das legen auch Gesetzestexte nahe. Sowohl in Paragrafen des Bürgerlichen Gesetzbuches als auch im Nachbarschaftsrecht des Landes geht es um die Frage, ob eine Beeinträchtigung ortsüblich und wesentlich ist. Das muss im Einzelfall geklärt werden – danach sieht es auch in Bad Cannstatt aus.

Imker in Stuttgart

Entgegen mancher landläufiger Meinung erfreut sich die Imkerei auch in der Großstadt einer hohen Beliebtheit. Im Imkerverein Stuttgart haben sich 240 Mitglieder zusammengeschlossen. Die tatsächliche Zahl der Imker in der Landeshauptstadt dürfte aber noch höher liegen – laut dem Vorsitzenden Kurt Mailänder sind einige weitere Imker aus den Stadtbezirken Birkach, Degerloch und Plieningen im Bezirksimkerverein Filder organisiert. Zudem gibt es einige andere Imker, die Bienen halten, aber nicht Mitglied in den Vereinen sind.

Die Mitglieder des Imkervereins Stuttgart betreuen 1400 Wirtschaftsvölker – das entspricht im Schnitt etwa sechs Bienenvölkern pro Kopf.

In Stuttgart sind Bienenkästen auch in den Innenstadtbezirken zuletzt in Mode gekommen. Sie zieren manche Schule, Hinterhöfe oder Kleingärten. Doch auch hier haben die Imker in den vergangenen Jahren verstärkt durch Seuchen viele Bienen verloren. Ganz oben auf der Liste steht die Varroamilbe, die die Nutztiere befällt und in der Lage ist, ganze Bienenvölker dahinzuraffen. (jbo)