Der siebenjährige William hat seinen Schulweg gezeichnet. Foto: Marco Hüttenmoser

Die, die zu Fuß kommen, lassen am meisten Geld liegen. Wer mit dem Auto in die Stadt fährt, kauft deutlich weniger ein. Diese und weitere Erkenntnisse hat Bezirksvorsteher Reinhard Möhrle von einer Tagung mitgebracht und vor den Bezirksbeiratskollegen ausgebreitet.

S-West - Die, die zu Fuß kommen, lassen am meisten Geld liegen. Wer mit dem Auto in die Stadt fährt, kauft deutlich weniger ein. Diese und weitere Erkenntnisse hat Bezirksvorsteher Reinhard Möhrle von einer Tagung mitgebracht und vor den Bezirksbeiratskollegen ausgebreitet. Ende Februar hatte Möhrle die Auftaktveranstaltung zu den „Fußverkehrs-Checks“, der systematischen Fußverkehrsförderung des Landes Baden-Württemberg, besucht die in Stuttgart getagt hatte. Mindestens zehn Kommunen des Bundeslandes sollen die Gelegenheit erhalten, professionell durchgecheckt zu werden. Fachleute durchstreifen die Kommunen und Quartiere und zeigen verkehrliche Schwachstellen auf. Die Untersuchungen orientieren sich an den Bedürfnissen spezieller Zielgruppen wie Senioren oder Kinder und münden schließlich in einen Maßnahmenplan.

Die Grünen waren die ersten, die in der Sitzung laut „Hier“ riefen: „Da müssen wir sofort den Antrag stellen, dass sich Stuttgart beteiligt und wir im Westen Modellviertel werden!“, forderte Bezirksbeirätin Maria Flendt. Und tatsächlich fand sich eine Mehrheit im Gremium dafür, den Gemeinderat aufzufordern, eine Bewerbung für die Landeshauptstadt unter besonderer Berücksichtigung des Westens loszuschicken. Bislang, so Möhrle, habe man sich in Stuttgart nämlich noch nicht zu einer Teilnahme geäußert.

Darüber hinaus brachte Möhrle von der Auftaktveranstaltung mit Fachvorträgen einige Denkanstöße mit, die er den Ratskollegen nicht vorenthalten wollte. So berichtete der Bezirksvorsteher, dass man sich derzeit inmitten eines Paradigmenwechsel befinde, was die Nutzung städtischer Straßenräume angehe: Nach der Autoinvasion in Zeiten des Wirtschaftswunders und der Einführung der ersten Fußgängerzonen in den 1980er Jahren befinde man sich heute in einer Ära, die Straße wieder als Aufenthaltraum definiere, wo Begegnung, Kommunikation und Bewegung möglich seien.

„Straße wird als Nutzraum verstanden und nicht mehr in erster Linie als Mobilitätsraum.“ Was damit gemeint ist, veranschaulichten zwei Kinderzeichnungen, die Möhrle im Gremium präsentierte. Überdeutlich ist darauf erkennbar, dass ein Stadtraum, der mit dem Auto durchmessen wird, gar nicht wahrgenommen wird. Zu Fuß erkundet, wird er indessen zum regelrechten Erlebnisraum.

Der Bezirksvorsteher berichtete von Statistiken, die der Schweizer Daniel Sauter von Urban Mobility Research zusammengetragen und bereits die Entschleunigung des Autoverkehrs eine immense Verbesserung der Lebensqualität: In einer Straße, in der Tempo 50 gilt, fühlen sich laut Umfrage lediglich 15 Prozent der Leute sicher. Bei Tempo 20 sind es 76 Prozent. Auch wird der Straßenraum offenbar eher für ein Schwätzchen genutzt, wo Autos langsam fahren müssen. Hier kennen 33 Prozent der Menschen ihre Nachbarn, in schnellen Straßen kennen sich bloß 15 Prozent der Leute. Die Menschen fühlen sich eher zuhause und verweilen lieber auf Straßen, wo die Geschwindigkeit reduziert ist.

Der Forscher Daniel Sauter hat sich ferner mit dem Verhältnis zwischen Fortbewegungsart und Einkaufsverhalten befasst. Das hat Möhrle dazu angeregt, diese Statistik für Stuttgart zu ermitteln. Seinen Berechnungen zufolge kommt etwa ein Drittel der Kundschaft zu Fuß und bloß zehn Prozent mit dem Auto. „Der Autoverkehr wird von den Händlern massiv überschätzt. Laut einer Befragung glauben sie, dass 28 Prozent ihrer Kunden das Auto nutzt. Tatsächlich sind es bloß zehn Prozent.“ Umgekehrt zeigten sich nach der fußgängerfreundlichen Umgestaltung einer Straße nicht bloß 94 Prozent der Passanten zufriedener, sondern auch 60 Prozent der Geschäftsleute – lauter gute Argumente, den Straßenraum neu zu denken.