Das Rot ist symbolisch. Heinrich Huth lebt nicht nur im , er wirkt auch dort – als Sozialdemokrat. Foto: red

Stadtbewohner erklären ihr Quartier. Teil drei: Heinrich Huth führt durchs Leonhardsviertel. Die Probleme des Rotlichtbezirks hält der Sozialdemokrat für verhältnismäßig leicht lösbar.

S-Mitte - Viel gewonnen wäre schon, wenn am Wochenende das Pack aus dem Umland nicht einfiele. Das ist nicht der Ton aus dem Handbuch des sozialdemokratischen Diplomaten, aber Heinrich Huth sagt es so. Er fühlt sich angepisst, im Wortsinn. „Die denken, hier lebt sowieso nur Abschaum“, sagt er, „deshalb pinkeln die an die Hauswände. Da fühle ich mich persönlich beleidigt“. Hier wird gesoffen, gegrölt, gerülpst, gevögelt, gepöbelt und gepinkelt, in beliebiger Reihenfolge.

Huth lebt im Leonhardsviertel. Sein Nachbar ist das Prostituiertencafé La Strada. Er wirkt auch dort, eben als Sozialdemokrat. Er ist Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Mitte, mit spürbaren Schwerpunkt auf dem Wohl oder Wehe der Altstadt.

Huth steht auf der Leonhardstraße. Der Rundgang durchs Quartier stockt. Eben hat ihn eine der Frauen angesprochen, die im Baumschatten auf frühe Freier hoffen. Ob er weiß, wo eine Wohnung frei ist – „eine normale“? Sie will Schluss machen mit dem Anschaffen, eine Familie gründen. Aber es gibt derzeit keine freie Wohnung im Quartier und sonst nur selten. Das ist auch Wolfgangs Problem. Ihm ist der Mietvertrag gekündigt worden. Das Haus wird saniert. Wolfgang erzählt von seiner Not, Ersatz zu finden. Er kommt gerade von seiner täglichen Tour mit dem Rennrad zurück. Bald wird er achtzig.

Anfangs „wollte ich sofort wieder weg“

Vor 15 Jahren kam Huth aus Heidelberg, dass er im Leonhardsviertel strandete, war Zufall. Anfangs „wollte ich sofort wieder weg“, sagt er. Nicht wegen des Straßenstrichs, wegen der sprichwörtlich spröden Schwaben. Inzwischen „will ich nie mehr woanders wohnen“. Warum aus Entsetzen Zuneigung wurde, ist schwer zu erklären.

Das Leonhardsviertel steckt in der Stadt wie ein havariertes Raumschiff. Genau so beäugt das Gutbürgertum es: aus Abstand mit Argwohn. Die Besatzung bleibt unter Deck und unter sich. Jeder weiß alles über jeden. Selbstverständlich mag nicht jeder jeden, aber „durch die Durchmischung ist hier alles unglaublich tolerant“, sagt Huth, „du bist, wie du bist, fertig aus“. Wer hier lebt, lässt leben. Nicht einmal das Vereinsheim der Hells Angels ist je aufgefallen, schon gar nicht unangenehm.

Ohne das Milieu würde das Viertel wohl zum Heusteigviertel zwo, gedämmt in Hanfmatten und Tofuschnittchen, in dem Staatssekretäre Wuchermieten zahlen. Weshalb Huth keineswegs die Huren verbannen will, obwohl ihn der Straßenstrich stört, denn er verschreckt bürgerliches Publikum. Wegen der steten Anmache „rennt jeder mit gesenktem Kopf durch und sieht nicht, wie schön alles ist“, sagt er. Was er will, erklärt er so: Die CDU fordert Sanierung für Investoren. Die Grünen fordern Vorgärten für Biogemüse. „In solche Häuser sollten dann Sozis rein“, sagt er, um sie fürs gemeine Volk zu retten, denn „jede Stadt hat Schmuddelkinder“. Diese Schmuddelkinder haben seine Mutter mit einem Blumenstrauß begrüßt, als sie zu Besuch kam. Dann haben sie bis nachts um eins mit ihr geplaudert. Üblicherweise geht die alte Dame um neun zu Bett.

„Wir stehen hier sozusagen auf der Stadtmauer“, sagt Huth, „andere Städte wären stolz auf sowas.“ Tatsächlich steht er auf dem Kopfsteinpflaster der Weberstraße. Die ist sogar an Wochenenden so ausgestorben wie der Ortsrand von Birkach. Einzig ein Laufhaus lockt Publikum.

Bevor er herzog, hat Huth sich nie für Architektur interessiert. Inzwischen weiß er, dass er in einem Barockhaus wohnt. Denkmalschützer können allein über dessen Dachziegel referieren. Das Haus neben seinem ist originaler Bauhausstil. Es steht leer. Eine verblichene Reklametafel informiert, dass hier einst H. Franz Antiquitäten feilbot. Heute stellt die Caritas hinter vergitterter Tür Bilder aus, die Obdachlose gemalt haben. „Wenigstens ist so das Schaufenster nicht leer“, sagt Huth.

Historische Häuser sind im erbarmungswürdigen Zustand

Rund ein Drittel der Häuser hier sind Baudenkmale, darunter sind die ältesten der Stadt. Etliche sind in erbarmungswürdigem Zustand. Wie ein Stück weiter das ehemalige Finkennest. Die Stadt hat die Mischung aus Schwulen- und Szenekneipe dichtgemacht. Die Argumentation fußte auf dem Vorwurf, dass in den oberen Etagen Bordellbetrieb herrschte. Das ist zwar Unfug, aber nun. Die SWSG soll das Haus jetzt sanieren, nötig ist es. „Ich will nur, dass wieder ein Lokal reinkommt“, sagt Huth, eines, das Leben in die Straße lockt.

Er schaut hinüber zum Wilhelmsplatz. Dort hocken Menschen an den Tischen des Murrhardter Hofs, des Einstein, des Concha. „Man müsste das nur ins Viertel rüberziehen“, sagt er, „dann wären alle Probleme erledigt“. Stattdessen arbeitet die Stadt an einem weiteren Papier zur Rettung des Leonhardsviertels, einem, mit dem Leuchtreklame verboten werden soll. Alle bisherigen Konzepte, einschließlich desjenigen des Oberbürgermeisters Fritz Kuhn zur „Verbesserung der Situation von Prostituierten“ hätten nichts bewirkt.

„Das Gerede von Elendsprostitution kann ich sowieso nicht mehr hören“, sagt Huth. Nicht, dass er deren Existenz leugnet, nur nervt ihn, dass Not und Geschlechtskrankheit das Einzige ist, womit das Viertel verknüpft wird. Der Kiosk unten an der Hauptstätter Straße ist eine Niederlassung von Western Union. „Dort überweisen viele Frauen viel Geld“, sagt er, „und die sind sehr selbstbewusst“. Wer es nicht glaubt, möge sich mit eigenen Augen überzeugen, vor allem jene, die von außen über das Quartier diskutieren und entscheiden. Aber „einen Herrn Kuhn“, sagt Huth, „habe ich hier noch nie gesehen“.