Illegale Medikamente, wie sie im Spitzensport zum Einsatz kommen. Foto: dpa

Nachdem Spitzenathleten aus Westdeutschland Doping eingestanden haben, hat die Politik nicht angemessen reagiert. Das sind die Aussagen einer Gruppe rund um den Heidelberger Wissenschaftler Gerhard Treutlein. Zudem wird Kritik an der Kontrolldichte im Spitzensport laut.

Heidelberg/Berlin - Verlogen und vorhersehbar – mit diesen Begriffen beschreiben Deutschlands führende Anti-Doping-Experten die Reaktionen der Politik und Sportverbände auf die jüngsten Enthüllungen zum Doping im Spitzensport. Zudem wird Kritik am Kontrollsystem in Deutschland laut. Ein Insider beklagt darüber hinaus, dass auch aufgrund mangelnder Finanzierung im Spitzensport zu wenig und nicht effektiv genug kontrolliert werden kann.

Gerhard Treutlein ist einer der bekanntesten Kritiker des deutschen Sports und seit Jahren aktiver Kämpfer gegen Doping im Spitzensport. Seine Äußerungen haben ihn bereits in Zeiten des Kalten Kriegs in den Fokus des DDR-Auslandsgeheimdiensts gerückt. Doch das hat ihn nie davon abgehalten, unbequeme Äußerungen zu machen und auf die Missstände im Sport hinzuweisen.

Der Grund für seine jüngste Kritik ist die Doktorarbeit von Simon Krivec, in deren Rahmen zahlreiche Spitzenathleten aus Westdeutschland zugegeben hatten, in den 1970er und 1980er Jahren gedopt zu haben. Mehr als die Hälfte der Leichtathleten, die auf Krivecs Fragebogen geantwortet hatten, haben eingeräumt, während ihrer Karriere Anabolika eingesetzt zu haben. Die Reaktionen aus Politik und von führenden Sportfunktionären bezeichnet Treutlein als „verlogen und vorhersehbar“.

Aus diesem Grund arbeitet er derzeit zusammen mit führenden Köpfen aus dem Anti-Doping-Kampf an einem Magazin. Mit dabei sind unter anderem der Heidelberger Wissenschaftler Werner Frank, Brigitte Berendonk, die Anfang der 1990er Jahre das Staatsdoping der DDR aufdeckte sowie die ehemaligen Spitzenathleten Alwin Wagner, Klaus-Peter Hennig und Claudia Lepping. „Wir wollen aufzeigen, was bereits alles bekannt ist“, sagt Treutlein. Damit wolle man der Politik die Möglichkeit nehmen, so zu tun, als habe man von allem dem nichts wissen können. „Es wird bis heute gelogen“, sagt Treutlein unserer Zeitung. Das Magazin soll im Lauf der Woche erscheinen.

Angriff auf Politiker

Sobald das Magazin mit dem Titel „Doping – Im Westen nichts Neues?“ erschienen ist, wollen die Experten rund um Gerhard Treutlein Politiker und Funktionäre mit dessen Inhalt konfrontieren. „Wir werden das Bundesinnenministerium, die Landesministerien sowie die großen Sportverbände um eine Stellungnahme bitten“, erklärt der Wissenschaftler.

Ein Politiker, dessen Rolle Treutlein und seine Mitstreiter besonders kritisch beobachten, ist die des ehemaligen Spitzenturners Eberhard Gienger. Heute sitzt Gienger für die CDU/CSU im Sportausschuss des Bundestags. Treutlein bezeichnet den Politiker aus dem Wahlkreis Neckar-Zaber (Landkreis Ludwigsburg und Landkreis Heilbronn) als „größten Unterstützer von Armin Klümper“. Dem Freiburger Sportmediziner wird von den Experten eine entscheidende Rolle beim Doping von Spitzenathleten in Westdeutschland zugeschrieben.

Auf die Frage, ob seine Verbindung zu Klümper sein Interesse an einer lückenlosen Aufklärung der deutschen Dopinggeschichte einschränke, antwortet Gienger: Er sei dankbar für die Hilfe bei der Genesung nach Verletzungen gewesen, die er in Freiburg erfahren habe. Recherchen hätten jedoch ergeben, „dass manche Sportler wohl auch Dopingmittel erhalten haben. Professor Treutlein und andere Wissenschaftler sind zu dem Schluss gelangt, dass verantwortliche Ärzte in Freiburg offensichtlich ,zwei Gesichter’ hatten“, so Gienger. Und weiter: „In meiner früheren Funktion beim Deutschen Olympischen Sportbund und nachfolgend als Abgeordneter im Sportausschuss habe ich mich maßgeblich für die Aufarbeitung der Dopingvergangenheit in West- und Ostdeutschland eingesetzt.“ In Zukunft wolle man die Anstrengungen unter anderem bei der Dopingprävention verstärken. Zudem weist der CDU-Abgeordnete darauf hin, dass die bisherigen Aktivitäten der Bundesregierung dazu beigetragen haben, „dass wir heute in Deutschland eines der weltweit besten Anti-Doping-Systeme haben.“

Deustches Kontrollsystem steht in der Kritik

Fragt man jedoch bei Kennern des Kontrollsystems nach, gerät diese Aussage gewaltig ins Wanken. Robert Wagner war etliche Jahre als Dopingkontrolleur im Südwesten unterwegs und hat bis vor Kurzem Spitzensportler getestet. „Wir haben viele Athleten kontrolliert, die gedopt haben“, sagt Wagner und fügt an: „Doch um die auch zu überführen, müsste das System grundlegend verändert werden.“ Das Verbotsfenster für Tests liegt zwischen 22 Uhr am Abend und 6 Uhr am Morgen. Doch: „Viele Substanzen werden so schnell abgebaut, dass sie über Nacht nicht mehr nachweisbar sind“, sagt er.

Zudem sei das Kontrollsystem unterfinanziert, sagte Wagner unserer Zeitung und berichtet über die Folge, die das bis Ende 2015 hatte: „Teilweise haben wir ab November bis zum Jahresende keine Kontrollen mehr gemacht, weil das Geld dafür gefehlt hat. Die Nationale-Doping-Agentur Nada ist in chronischen Geldnöten.“ Weiter berichtet er: „Es ist schwer, Nachwuchs zu finden.“ Er selbst habe länger als üblich Tests durchgeführt, weil niemand gefunden werden konnte, der im Südwesten Bluttests durchführen wollte.

Die Nada widerspricht den Vorwürfen und erklärt auf Anfrage: Seit 2013 sei die Finanzierung der Agentur erstmals für mehrere Jahre gesichert. Trotzdem sei es nicht korrekt, dass es bis 2015 zum Jahresende im Südwesten keinerlei Kontrollen gegeben habe, auch wenn das Budget damals geringer war als heute.

Zudem bemängelt Wagner die Sportförderung in Deutschland. „Man orientiert sich an Leistungen, die von gedopten Athleten erbracht werden und fordert in Sonntagsreden, dass die deutschen Sportler das ohne Doping schaffen sollen.“