Bei der Katholischen Betriebsseelsorge finden Bedürftige Beratung oder auch einmal in der Woche ein warmes Mittagessen. Foto: Julia Barnerßoi

Seit 27 Jahren sitzt die Katholische Betriebsseelsorge an der Wiesbadener Straße. Unabhängig von der Konfession finden Arbeitnehmer wie auch Erwerbslose Hilfe in den Räumen der Kirche.

Bad Cannstatt - Aus dem Arbeitsleben habe er sich immer rausgehalten, sagt der Mann aus Rohracker. „Es ging halt einfach nicht“, sagt er – genauer wird er nicht. Heute lebe der 63-Jährige von 380 Euro Rente. „Die sogenannte Grundsicherung“, sagt er sichtlich unzufrieden. Er lebe in einer Bruchbude, habe nicht mal eine Küche. Jeden Mittwoch kommt er deshalb seit vielen Jahren zum Erwerbslosenstammtisch der Katholischen Betriebsseelsorge, die seit 27 Jahren an der Wiesbadener Straße sitzt. Für 2,50 Euro gibt es hier ein warmes Mittagessen – und Gesellschaft.

„Die meisten Besucher leben isoliert, und für viele ist es das einzige warme Essen in der Woche“, sagt Ute Weber. Die Caritas-Mitarbeiterin leitet das wöchentliche Angebot in der Seelsorge-Station. „Meine Aufgabe ist es, Gegenüber zu sein“, sagt sie. Bei dem Projekt gehe es weniger um die Mahlzeit, denn darum, den Langzeit-Erwerbslosen eine sinnvolle Freizeitgestaltung nahezubringen. So gibt es nach dem Essen etwa gemeinsames Singen, Stadtführungen oder Ausflüge. An diesem Tag geht es ins Lindenmuseum. „Wer geht mit?“, fragt Weber bei Schinkennudeln mit Salat. „Kostet das Eintritt?“, fragen die Besucher besorgt. Die Geldnot sitzt immer mit am Tisch.

Guido Lorenz Foto: Barnerßoi

Der Mittwochs-Treff ist nur eines von mehreren Angeboten der katholischen Einrichtung. Deren Gesicht ist Guido Lorenz – seit der Gründung vor 32 Jahren ist er der Betriebsseelsorger. Seine eigentliche Arbeit richtet sich nicht an Erwerbslose, sondern an Arbeitnehmer. Nämlich solche, „die prekär beschäftigt sind“, wie der Seelsorger sagt. Da gehe es etwa um Leiharbeit, Zwangsteilzeit, aber auch Tarifkonflikte. Die politische Arbeit stehe da ganz weit vorne auf der Agenda. „Ich laufe bei Demos mit“, sagt Lorenz. Erst kürzlich war er mit Stuttgarter Erzieherinnen auf der Straße.

Religion und Politik gehören für Lorenz zusammen

Die Zusammenarbeit mit Betriebsräten und Gewerkschaften sei selbstverständlich. Seine Hilfe bestünde nicht darin, Einzelpersonen psychologisch zu beraten, sondern ihnen in ihrer Not nah zu sein und sich solidarisch mit der Gruppe zu zeigen. So hat Lorenz die Fahne mit dem Logo der Betriebsseelsorge – ein Zahnrad für den Betrieb, darin ein Kreuz für die Kirche und die rote Nelke für die Arbeiterbewegung – bereits auf vielen Demos geschwenkt. Oder am eigenen Leib ausprobiert, wie es den Arbeitern geht: „Ich war als Postbote unterwegs, habe Gelbe Säcke eingesammelt, Kaugummis aus U-Bahnen gekratzt oder Kohleschiffe ausgekehrt“, erzählt Lorenz. Religion und Politik gehören für den Theologen unbedingt zusammen. „Jesus geht mit den Machtlosen“, sagt er.

Weitere Standbeine der Betriebsseelsorge sind die Beratung und die eigene Jobbörse. Ehrenamtler helfen Ratsuchenden in Sachen Finanzen, Bewerbungen, begleiten auf Ämter oder vermitteln Minijobs. „Zu uns kann jeder kommen“, unterstreicht Lorenz, der all die Angebote ins Leben gerufen hat. Die Konfession spiele keine Rolle. Für jene, die es wollen, bietet er aber auch Bibelgespräche und Gottesdienste an.

Der erste Arbeitskampf fand in Bad Cannstatt statt

Dass die katholische Betriebsseelsorge, die für ganz Stuttgart zuständig ist, ausgerechnet in Bad Cannstatt und in einem Wohngebiet sitzt, hat laut Lorenz zunächst nur den Grund, dass die Räume, die der Kirche gehören, leer waren, als er gerade suchte. Der örtliche Bezug passe aber gut. Neben Feuerbach hat Lorenz im Bezirk zum Beispiel einen Betriebsräte-Stammtisch. „Bad Cannstatt ist ein alter Industriestandort“, sagt er, auch wenn die Zahl der Unternehmen schrumpfe.

Seinen ersten Arbeitskampf habe er tatsächlich in Bad Cannstatt begleitet, erinnert sich Lorenz. Damals ging es bei der Trafo Union heiß her. 1000 Menschen sollten ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Kämpfenden erreichten einen Sozialplan und vor allem Selbstvertrauen. Letztlich wurde die Firma trotzdem abgerissen. Heute steht dort das Cannstatter Carré.