Die Generation 55 plus ist eine vielversprechende Zielgruppe. Sie hat Zeit und Geld. Man muss den Senior jedoch in der Altersgruppe ansprechen, in der er sich fühlt. Foto: Schmidt

Reiseveranstalter buhlen um die ältere Generation. Dabei wird das Wort „Senioren“ tunlichst vermieden. Erfahrungen in der Vitalwelt der Best Ager.

Vielleicht hätte sie doch lieber eine Woche Club Med wählen sollen oder einen Trip nach Ecuador. Schmallippig sitzt Frau Schmidt im Flugzeug mit dem Ziel Hurghada, Ägypten, Rotes Meer, zur Zeit sensationell günstig. Sie hat ein All-inclusive-Resort von Neckermann gebucht, Eintritt in die Vitalwelt eingeschlossen: Bewegung, Erholung, Spaß. Das Aktivitätenprogramm für Best Ager. Im besten Alter, das seien sie ja wohl, hatte ihre Freundin, fitte Ende fünfzig, gekichert und gleich für sie mitgebucht.

Könnten sie doch mal mitmachen. Koste keinen Cent mehr. Und vital klänge doch immer gut. Frau Schmidt ist sich da nicht so sicher. Wird sie umgeben sein von tattrigen Alten und Rollatoren? Werden in ihrem Nachttisch kleine Windeln liegen für Blasenschwäche? Sie hatte schon so einiges gehört von Seniorenprogrammen im Urlaub: morgens fröhliches Blutdruckmessen mit Schwester Gerda, mittags Bingo oder künstlerisches Serviettenfalten, abends gemütliches Beisammensein in kleiner Runde. So schlimm kann es gar nicht werden, atmet Frau Schmidt auf, als sie zum ersten Abendessen am Büfett des Sunrise Holidays Resort steht. Das Publikum ist bunt gemischt.

Ein eigenes Hotel-Animationsprogramm hängt neben der Menükarte, man könnte also jederzeit ausweichen. Und nur einer sitzt im Rollstuhl. Ein junger Mann mit Gipsbein. „Das ist unsere Vitalwelt-Gruppe“, sagt Animateur Penko, durchtrainiert, smart, keine 40, und führt Frau Schmidt an zwei große Tische. Lauter ältere Herrschaften sitzen darum, alleinstehende Frauen oder Paare. Eine lustige Runde, die nicht gerade den Eindruck macht, als käme ihr das Alter vor wie ein grauer Tunnel. Sie sind zwar durchweg älter als sie mit ihren 55, geschätzt zehn bis 20 Jahre. Aber keineswegs tattrig. Und sehr offen für Unterhaltung. Sofort sitzen die Neuankömmlinge mittendrin. Das ging im Robinson Club nie so schnell. „Ist doch toll, wenn ich nicht alleine beim Essen sitzen muss“, sagt Tischnachbarin Eva aus Baden-Baden, die zwölf Wochen in Hurghada regeneriert. Sie kam mit einem Rollator, und jetzt schnorchelt sie schon wieder.

„Es knisterte sofort. Das mit der Liebe hört nie auf“

„Ohne Penko und die Gruppe wäre das nicht so schnell gegangen. Kontakt und Gesellschaft, das ist das Allerwichtigste“, sagt Arno (73) und schickt seiner Partnerin Vera (76) einen verliebten Blick zu. Die beiden Rostocker haben schon die halbe Welt gesehen und sich vor zwei Jahren über eine Annonce kennengelernt. „Es knisterte sofort. Das mit der Liebe hört nie auf“, flüstert Vera mit glänzenden Augen. Man spricht über das richtige Feilschen, vergangene Urlaube und darüber, dass es hier am Roten Meer wieder fast so voll wie früher sei, bevor Revolution und Unruhen das Land erschütterten und die Touristen wegblieben. Penko, immer auf Harmoniekurs, auch wenn es mal Zickenkrieg gibt, wechselt das Thema. Sie sollte sich schon mal auf Morgen früh gefasst machen: erst Frühsport, dann Boccia-Turnier oder Englisch, später Darts und abends Bowling.

Von wegen Blutdruckmessen und Serviettenfalten. So was würde heutzutage reiferen Jahrgängen nicht mal ein Gähnen entlocken, so lebenslustig, jung und reiseerfahren wie sie sich fühlen. Das wissen auch die Reiseveranstalter. Aber die sogenannte 55-plus-Generation ist nun einmal eine vielversprechende Zielgruppe. Sie hat mehr Zeit und Geld als die Jüngeren, will noch etwas erleben, reist antizyklisch, gerne im Winter, gerne lang. Und es werden immer mehr: Schon 2020 wird fast jeder Zweite älter als 50 sein. Altersgerechte Angebote ja, nur dürfen sie nicht so heißen, haben die Marketingstrategen ausgekundschaftet. Bloß nichts mit Senioren. „Ältere wünschen oftmals keine spezielle Zielgruppenansprache“, sagt Tui-Pressesprecherin Kathrin Spichala.

Deshalb gab Tui den Club Elan auf und buhlt jetzt mit „passgenauem Urlaub für die verschiedenen Bedürfnisse der Best Ager“: Sensimar-Hotels für erholungsuchende Paare, Viverde-Hotels für Naturaktive, Tui-Vital-Wellnesshotels. Bei Alltours zahlen Langzeiturlauber für acht Wochen all-inclusive in einem 4,5-Sterne-Hotel im türkischen Side 1259 Euro pro Person und können bei „Eventwochen“ kochen und tanzen lernen. Studiosus bietet statt seiner eingemotteten „Reiseträume - bunte Angebote für Aktive“ unter dem Stichwort „Service plus“ Reisen mit „entspannter Tageseinteilung und Zeit zur Muße“. Und Neckermann renovierte seinen Club Schwalbe zum Club Vital und setzte noch ein Programm „gesund und glücklich“ obendrauf. Die Kunst liegt offenbar darin, den Senior in der Altersgruppe anzusprechen, in der er sich fühlt, denkt Frau Schmidt am nächsten Morgen bei den „Übungen mit dem Softball“.

„Wir haben Spaß und immer einen Ansprechpartner"

Bei ihr hat das nicht so ganz hingehauen. Sie fühlt sich natürlich viel jünger, so um die 40. „Über 50-Jährige schätzen sich 15 Jahre jünger ein, als sie wirklich sind“, klärt Penko trocken auf. Deshalb hat bei allen anderen das „Vitalwelt“-Programm voll ins Schwarze getroffen. Harald (63), Goldkette, beleibt, immer gut drauf, und seine Marion (64), gelernte Köchin, beide aus Berlin und sehr unternehmungslustig, sind zwei Monate hier und fast jeden Tag dabei. „Wir haben Spaß und immer einen Ansprechpartner, und er geht sehr auf uns ein, das ist schon was anderes als die Hotelanimation.“ Vor einer Woche besuchten sie zusammen den Fischmarkt. Nie hätten sie sich sonst allein dorthin gewagt.

„Und heute trauten wir uns zu zweit in die Altstadt, zwischen tief verschleierten Frauen und Männern in Kaftan, ich war sogar beim Barbier“, erzählt Harald, fährt sich über seinen sauber gestutzten weißen Bart und packt die Boccia-Kugeln aus. Sein Lieblingssport. Frau Schmidt findet Boccia hingegen langweilig und geht hinüber an den Hotelpool, wo sich bei Hip-Hop-Musik 20- bis 25-Jährige beim Wasserpolo balgen. Das ist auch wieder nichts. Aber mal was erleben wäre jetzt nicht schlecht. Harald schlägt den Sahara-Ausflug vor, den haben er und Marion auch schon gemacht: mit dem Jeep, auf Quads und auf Kamelen durch die Wüste. Ein herrlicher Spaß. Am Morgen danach dröhnt ihr der Kopf, und der Rücken ist dermaßen verspannt, dass sie sehr froh ist, mit Penko und den anderen zusammen den „Swing Stick“ in Schwingung zu bringen.

Reisen für Best Ager

Veranstalter
Die „Vitalwelt“ bieten Thomas Cook und Neckermann in fünf Hotels in vier Ländern, zum Beispiel eine Woche Flug all-inclusive Sunrise Holidays Resort Hurghada um 500 Euro pro Person; www.neckermann-reisen.de/erlebniswelten/vitalwelt

Tui geht mit seinen Reisewelten auf die Bedürfnisse der Best Ager ein, www.tui.com .

Der Studienreiseveranstalter Studiosus bietet „Service plus“, geruhsame Angebote mit speziellen Serviceleistungen für Ältere, www.studiosus.de .

Alltours hat 380 Hotels für sehr erschwinglichen Langzeiturlaub im Angebot, www.alltours.com .

Allgemeine Orientierungshilfen für spezielle 50-plus-Angebote bieten die Webseiten www.50plushotels.de , www.reiselinks.de/best-ager-reisen.html