Die Geburtenrate steigt, die Zuwanderung auch – mehr Schüler drängen in die Schulen. Foto: dpa

Deutschland muss sich laut einer Studie auf deutlich steigende statt sinkende Schülerzahlen einstellen. Die Politik steht vor großen Herausforderungen.

Stuttgart/Berlin - Es gibt künftig wieder mehr Schülerinnen und Schüler. Für den Südwesten hatte das Statistische Landesamt bereits im vergangenen August darauf hingewiesen. Am Mittwoch nun hat eine neue Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung den Trend für ganz Deutschland bestätigt. Die Lehrerverbände in Baden-Württemberg reagierten prompt und warnten vor enormen Lücken bei den Lehrerstellen. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) rechnete auf Grundlage der Bertelsmann-Studie vor, bis 2025 würden 3325 zusätzliche Lehrerstellen allein an Grundschulen benötigt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erklärte, sie sehe bis 2030 gar einen Zusatzbedarf von mindestens 8000 Stellen bei den rund 2500 Grundschulen im Land.

Laut der Studie, die von den Bildungsforschern Klaus Klemm und Dirk Zorn erstellt wurde, steht Deutschland vor einem regelrechten Schüler-Boom. 2025 werden danach voraussichtlich 8,3 Millionen Kinder und Jugendliche bundesweit die Schulbank drücken. Das sind 1,1 Millionen Schüler mehr als nach den bisherigen Prognosen der Kultusminister der Länder, die aus dem Jahr 2013 stammen. Damals, so die Autoren der Studie, seien die inzwischen gestiegene Geburtenrate und die Massenzuwanderung nicht absehbar gewesen. „Jetzt gilt es, in zusätzliche Lehrer und Schulen zu investieren“, forderte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Es fehlten zehntausende Pädagogen und Klassenräume.

Im vergangenen März hatte das Statistische Bundesamt erstmals seit dem Jahr 2000 einen Anstieg der Schülerzahlen vermeldet. Das Plus von 0,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr sei der verhaltene Beginn eines Trends, der enorm an Fahrt gewinnen wird, heißt es in der Bertelsmann-Studie. 2025 würden bereits vier Prozent mehr Kinder und Jugendliche die Schulbank drücken als heute, 2030 sogar acht Prozent mehr. „Mit diesem Schüler-Boom hat kaum jemand gerechnet. Es besteht enormer Handlungsdruck. Viele Bundesländer müssen komplett umdenken“, warnte Dräger.

Der Personalbedarf steigt, der Raumbedarf auch

Als erste spüren die Grundschulen den Anstieg. Dort fehlen 2025 laut der Prognose bundesweit 24 110 Lehrer im Vergleich zu heute, sofern die Klassen nicht größer werden sollen. An den weiterführenden Schulen würden die bundesweiten Schülerzahlen zwar zunächst noch einige Jahre sinken. Doch zeitversetzt erreichten die starken Jahrgänge dann auch Gymnasien, Gesamt-, Ober- und Realschulen. Neun Prozent mehr Schüler als heute sollen demnach 2030 in den Klassenräumen der Sekundarstufe I sitzen. Auch dort würden dann zusätzlich 27 000 Lehrer benötigt. Weil den Lehrerkollegien aufgrund ihrer Altersstruktur eine Pensionierungswelle bevorstehe und ohnehin vielerorts bereits Lehrermangel herrsche, werde der Bedarf an zusätzlichen Lehrkräften schwer zu decken sein, sagen die Bildungsforscher Klemm und Zorn voraus.

Neben dem Personalbedarf steigt der Raumbedarf. Bundesweit seien 1800 Grundschulen seit der Jahrtausendwende wegen Schülermangels geschlossen worden. Angesichts wieder steigender Geburtenzahlen und verstärkter Einwanderung gelte es, eine deutliche Trendwende einzuleiten, heißt es in der Studie. 2025 seien – bei gleichbleibender Schulgröße – fast 2400 Grundschulen mehr nötig als heute. Etwas später kämen auf die weiterführenden Schulen ähnliche bauliche Engpässe zu. Dabei würden bereits heute viele bestehende Schulen als marode gelten. Die Bertelsmann Stiftung kalkuliert für 2030 aufgrund des Schüler-Booms mit 4,7 Milliarden Euro höheren jährlichen Bildungsausgaben als heute.

Auch Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) reagierte am Mittwoch auf die Bertelsmann-Studie. Sie verwies auf ihre laufenden Bemühungen, „den von der Vorgängerregierung beschlossenen Lehrerstellenabbau zu stoppen“, der auf veralteten Annahmen beruht habe. Es gehe jetzt darum, den Stellenbedarf „im Lichte der aktuellen Zahlen neu zu prüfen“. Die Bertelsmann-Studie sei in dieser Hinsicht wenig aufschlussreich, da sie nicht nach Ländern differenziere. Sie verlasse sich stattdessen auf die jährlichen Prognosen der Landesstatistiker in Stuttgart, so Eisenmann.

Die Studie liefert keine Zahlen für das Land

Mit Blick auf den langfristigen Lehrerbedarf habe man bereits gehandelt, erklärte die Ministerin. So seien die Ausbildungskapazitäten für das Lehramt Grundschule und das Lehramt Sonderpädagogik erhöht worden – beim Grundschullehramt von 970 Studienanfängerplätzen im Jahr 2015/16 auf aktuell 1272 Plätze und beim Lehramt Sonderpädagogik von 390 Anfängerplätzen im Jahr 2015/16 auf aktuell 520 Plätze.

VBE-Landeschef Gerhard Brand forderte Eisenmann auf, bei ihrer Pressekonferenz zur Lehrergewinnung an diesem Freitag zu sagen, wie sie dem künftigen zusätzlichen Stellenbedarf begegnen wolle. Dies hänge aber auch davon ab, ob das Finanzministerium Geld bereit stelle.