Bernhard Lang Foto: Promo

Zur Eröffnung der Schwetzinger Festspiele 2014 hat der Österreicher mit dem Faible für variierende Wiederholungen seine Oper nach Arthur Schnitzlers Schauspiel „Reigen“ vorgestellt. Am Donnerstag widmete das Festival Bernhard Lang drei Konzerte.

Schwetzingen - Das geht immer weiter, das hört nicht auf. A treibt es mit B, B mit C, C mit D; erst wenn am Ende der Letzte mit der Ersten zusammenfindet, schließt sich endlich der Kreis. In Arthur Schnitzlers „Reigen“ reiht sich in zehn Szenen ein nüchterner Liebesakt an den anderen. Wenn eine neue Opernfassung des Skandalstücks von 1920 dessen Titel in „Re:igen“ umbenennt, dann darf man erwarten, dass auch die Musik das Prinzip der Wiederholungen aufgreift, von denen das Schauspiel lebt.

Wer den Komponisten Bernhard Lang kennt (oder bei der Uraufführung seines letzten sinfonischen Großwerks, der „Monadologie XIII“, bei den Donaueschinger Musiktagen 2013 kennenlernte), der ahnte schon vor der Premiere seiner jüngsten Oper in Schwetzingen, dass der Meister der Loops, der ins Hochvirtuose getriebenen Wiederholungen, in Schnitzlers Stück ein ideales Objekt finden würde. Das hat sich bewahrheitet. Schnitzlers Text hat Michael Sturminger auf Satz-Konzentrate zusammengestrichen. Die werden nun gesungen oder gesprochen, dabei oft mehrfach wiederholt. Das von Rolf Gupta geleitete Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR fügt, unterstützt von ausgearbeiteter Elektronik, instrumentale Wiederholungs-Schleifen hinzu, die sich immer wieder leicht verändern und gegeneinander verschieben.

So wird der Rhythmus zum Hauptdarsteller. Er pulsiert, der „Reigen“ wird zum Tanz. Ein Leichtes, Luftiges legt sich über das Schwere, und wie die Instrumente die Sprachmelodie des Textes spielerisch aufgreifen, ist bestaunenswerte Kunst. Zwar nimmt Georges Delnons Inszenierung mit ihrer Reduzierung auf eine Matratze und einen Haufen Monitore (mit Filmsequenzen von – jawoll! – Verkehrsunfällen) dem Werk einige seiner heute immer noch erstaunlich spitzen Stachel. Ansonsten jedoch gelingt ein packender Musiktheater-Abend. Und unterhalb der groovenden Oberfläche bietet Lang Klangmagie für Genießer: Jeder Szene liegt ein eigener Akkord zugrunde; man hört ihn dort, wo Schnitzer den Liebesakt mit Gedankenstrichen andeutete und aussparte, und im Nachklingen öffnet er weite Räume für Gedanken und Gefühle.

Allerdings fußt auch Klangmagie zuallererst auf harter Arbeit: auf Handwerk. Bernhard Lang ist ein exzellenter Handwerker. Und er zehrt von seiner Herkunft. Der 57-Jährige ist ein Komponist zwischen den Stühlen: Aufgewachsen mit Jazz und Improvisation, impft er seinem Komponieren den Groove ein, die Lust am Ausprobieren und den Drang nach Sinnlichem und Fasslichem. Aus den Wiederholungen kleiner Tonverbindungen, von denen seine Musik lebt, ergeben sich Klangfelder, die fast statisch wirken. Beim Zuhören kann man in Trance verfallen und die Kontrolle verlieren. Man kann aber auch ganz wach werden: Dann bemerkt man staunend die kleinen Veränderungen, die feinen Details. Wie lebensnotwendig für diese eine hohe Präzison der Darbietung ist, hörte man, als am Donnerstag das Arditti Quartet Langs Streichquartett „Monadologie IX – The Anatomy of Disaster“ spielte. Dabei sind Langs Stücke das, was man hypervirtuos nennt. In anderen Worten: Sie sind Zumutungen für ihre Interpreten.

Das gilt schon für die Reihe der Stücke, die mit „Schrift“ übertitelt sind: Solowerke, die dem ersten Höreindruck nach der sogenannten Ecriture automatique, also dem „automatischen“ Schreiben verpflichtet sind. Hinter dem scheinbar Unkontrollierten lauert aber dichte Konstruktion: Mehr- und Gegenstimmigkeit, ja sogar Fugen. In Schwetzingen geben die Flötistin Sylvie Lacroix, der Cellist Michael Moser und der Akkordeonist Krassimir Sterev die „Schrift“-Stücke als Studien über experimentelle Instrumentalkunst im Ausnahmezustand.

Im dritten Werk der Reihe „Differenz/Wiederholung“, mit der Bernhard Lang Ende der 90er Jahre weitere wichtige Schritte zu seiner jetzigen Musiksprache ging, finden die drei Musiker (als Trio Amos) zusammen. Hier hört man dann, was heute als Markenzeichen des Österreichers gilt: Tonreihen, die immer wieder von vorne beginnen, als schleudere ein Sprung im Vinyl den Tonarm über einer Schallplatte immer wieder auf dieselbe Rille zurück. Mit einem ähnlichen Wiederholungsprinzip setzten sich seinerzeit auch die Vertreter der amerikanischen Minimal Music vom Verbot des Wiederholens ab, das Arnold Schönberg und der Philosoph Theodor W. Adorno verkündet (und mit ihren wiederholten Zwölftonreihen selbst ausgehebelt) hatten.

Lang hat seine spezielle Art von Wiederholungstechnik in seinem Komponieren perfektioniert, aber auch mit Hilfe von Computertechnik verfeinert, und in seiner „Monadologie“-Reihe hat er sie noch weiter differenziert. Hier sind die Momente der Veränderung, die sich in den „Differenz/Wiederholung“-Stücken noch von den rein repetitiven Elementen unterschieden, vollständig in den musikalischen Fluss integriert. Außerdem benutzt Lang in den „Monadologien“ (zerlegtes) Material anderer Komponisten als Bausubstanz. „Ich wollte selbst verschwinden“, erklärt er, „und dadurch freier werden – wie Künstler im Bereich des Experimentalfilms, die Meta-Filme über vorhandenes Filmmaterial machen.“

Wer wiederholt, verweigert sich: der Entwicklung, aber auch der Emphase, dem Pathos. „Ich komponiere keinen Schweinsbraten, der schwer im Magen liegt“, kommentiert launig der Österreicher – und bescheinigt seinem Landsmann Anton Bruckner („Diese Statik! Diese Fläche! Diese zeitliche Ausdehnung!“) auch und gerade in dieser Hinsicht Vorbildcharakter. „Ein Sinfoniker“, sagt Lang, „der in neun Sinfonien mit Erfolg immer dasselbe Modell verfolgt, muss einen faszinieren.“ Zur inneren Wahlverwandtschaft passt auch Langs Glatz- und Charakterkopf. Nur in der Art des Arbeitens gibt es einen kleinen Unterschied. Ob Bruckner je behauptet hätte, ein „totaler Autist“ zu sein und nur in „spielerischer Selbstvergessenheit“ komponieren zu können, ist jedenfalls ernsthaft zu bezweifeln.