Eigentlich müsste der BER schon seit fünf Jahren fertig sein, doch wann die Schutzhelme der Arbeiter in die Ecke gelegt werden können, weiß heute noch immer keiner. Foto: dpa-Zentralbild

Im Abschlussbericht zum Berliner Flughafen attestiert der Untersuchungsausschuss den Verantwortlichen kollektiven Realitätsverlust. Wann das Projekt fertig gestellt sein wird, ist immer noch unklar.

Berlin - Es ist dreieinhalb Jahre her, dass der Untersuchungsausschuss zum Flughafen BER eingesetzt wurde – und wohl keiner der Abgeordneten hätte damals geglaubt, dass auch heute noch kein fester Eröffnungstermin für den Pannenairport in Sicht ist. Während der Ausschuss 70 Zeugen befragte und 64 mal tagte, wird parallel immer noch geplant, versagt, optimiert – und gebaut. Und immer noch gibt es politisch Verantwortliche, deren Stühle bei jeder Verschiebung wanken. Es ist also kein Wunder, dass sich die Parlamentarier in dem Abschlussbericht nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnten – drei Monate vor der Wahl. Alle drei Oppositionsfraktionen gaben Sondervoten ab, das Dokument wächst so auf 1269 Seiten.

Eine der wichtigsten Fragen, die jeder Außenstehende seit der kurzfristigen Verschiebung des Eröffnungstermins vom Juni 2012 hatte, konnten sich auch heute viele Beteiligte nicht beantworten: Wie kann es sein, dass man erst einen Monat vorher weiß, dass ein Flughafen nicht fertig wird? Der Ausschuss versucht das: „kollektiver Wirklichkeitsverlust“. Die gehörten Zeugen hätten den Eindruck bestärkt, sie hätten unter wachsendem Druck gestanden, je näher die Eröffnung rückte. Es ergebe sich „das Bild eines Kollektivs, das trotz aller kritischen Anzeichen den unbedingten Glauben an eine rechtzeitige Fertigstellung teilte, und die Möglichkeit einer Verfehlung des Inbetriebnahme Termins konsequent ausgeblendet hatte.“

Die Schuldfrage beantwortet der Bericht nicht abschließend. Zwar ist von einem „katastrophalen Projektverlauf“ die Rede, aber dieser wird auf „geteilte Verantwortlichkeiten“ zurückgeführt. Der Ausschuss sei sich bewusst, dass ein großes öffentliches Interesse an der klaren Benennung von Verantwortlichen bestehe. „Seriöserweise kann jedoch in einem derart komplexen Projekt nur von einer Verflechtung geteilter Verantwortlichkeiten gesprochen werden“, heißt es. Die Abgeordneten empfänden es als „einseitig, die Hauptverantwortung einem einzelnen Beteiligten aufzubürden“ und belegen dies in ihrem Bericht auch, indem sie das Versagen an unterschiedlichen Stellen benennen.

„Klare Täuschungsabsicht“ beim früheren Geschäftsführer

Die wichtigste Erkenntnis in diesem Zusammenhang: es gab zu viele Verantwortliche, und diese schoben einander immer wieder den Schwarzen Peter zu. Unter der Überschrift „Verantwortungsvakuum“ heißt es, bei einen Großprojekt liege es zwar in der Natur der Sache, dass es eine Vielzahl Projektbeteiligter gebe: „In der Rückschau wurde diese Tatsache jedoch durch Projektsteuerung, Bauüberwachung, Generalplanung, Mitarbeiter und Geschäftsführung sowie Aufsichtsratsmitglieder dazu genutzt, sich von Verantwortung zu befreien und auf die anderen Projektbeteiligten zu verweisen.“ Als Gründe sehen die Abgeordneten: mangelnde Loyalität, mangelndes Verantwortungsbewusstsein.

Deutlich kritisch setzt sich der Bericht mit der Geschäftsführung auseinander. Diese habe die meisten Steuerungsmöglichkeiten gehabt. Sie verantworte unternehmerische Abwägungsentscheidungen. Aufgezählt werden die Änderungen bei der Planung, mit denen falsch umgegangen worden sei, die unzureichende Beauftragung von Projektsteuerungs- und Bauüberwachungspersonal und die mangelhafte Risikoabwägung bei Terminfestlegungen.

Über den einstigen Geschäftsführer Manfred Körtgen, der 2012 gekündigt wurde, heißt es, die Kehrseite von dessen Engagement sei gewesen, „dass der Zeuge ein mögliches Scheitern trotz deutlicherer Warnsignale nicht in Betracht zog“ und einen „bestürzenden Mangel an unternehmerischem Verantwortungsbewusstsein“ gezeigt habe. Der Aufsichtsrat sei in der Folge nicht angemessen informiert worden, was Bauablauf und Kosten angehe. Negative Informationen seien systematisch ignoriert und unterdrückt worden. In einem Fall sehen die Abgeordneten sogar eine „klare Täuschungsabsicht“: Körtgen habe in einem Controllingbericht für die Aufsichtsratssitzung am 20. April 2012 – knapp eineinhalb Monate vor der geplanten Eröffnung - eine Formulierung abgeschwächt. Auch der einstige Sprecher der Geschäftsführung, Rainer Schwarz, habe ein „demonstratives Desinteresse an allen Projektabläufen“ gezeigt.

Fehlende Kollegialität und Machtkämpfe

Unter den weichen Faktoren, die das Projekt zum Scheitern brachten, benennt der Bericht auch das Klima in der Geschäftsführung: es sei geprägt gewesen von „fehlender Kollegialität und Machtkämpfen“. Interessant dabei: Auch in den nachfolgenden, „besonders empfindlichen Zeiten des Krisenmanagements“ hätten Machtkämpfe und persönliche Profilierung im Vordergrund gestanden. Dadurch sei es zu Umstrukturierungen gekommen, die das Projekt weiter destabilisiert hätten. Diese harsche Kritik wirkt im Umkehrschluss als Teilentlastung für die verantwortlichen Politiker im Aufsichtsgremium. Hier saßen und sitzen führende Köpfe von Land und Bund, und der Vorsitzende zum Zeitpunkt der geplatzten Eröffnung hieß Klaus Wowereit. Wie viel Verantwortung diesen Beteiligten zuzurechnen sei, habe „zu den umstrittensten Fragen im Laufe des Ausschussuntersuchungen“ gehört, heißt es. Zwar sei der Aufsichtsrat in alle unternehmerischen Entscheidungen eingebunden gewesen. Das Gremium sei jedoch auf zutreffende Informationen der Geschäftsführung angewiesen gewesen.

Leise Kritik lässt sich aus folgendem Satz destillieren: „Im Regelfall hat der Aufsichtsrat die ihm von der Geschäftsführung vorgetragenen Informationen ausreichend plausibilisiert.“ Es gab also Ausnahmen. Und es bleibt die Frage, wieso der Aufsichtsrat seine Geschäftsführung nach der ersten Verschiebung – im Juni 2010 wurde die für Oktober 2011 terminierte Eröffnung auf Juni 2012 verlegt – nicht genauer oder misstrauischer kontrollierte.

Der Ausschuss gibt aber auch Empfehlungen für Großprojekte: Die Abgeordneten fordern klare Zuständigkeiten. Diese dürften nicht aufgeteilt werden, Verträge müssten klar gestaltet sein. Planung und Bauüberwachung dürften nicht an denselben Auftragnehmer gehen. Und die Abgeordneten halten es für sehr wünschenswert, baubegleitende Planung zu vermeiden. Um Umplanungen zu mindern, plädieren sie für eine gute Bedarfsermittlung zu Beginn und dafür, am laufenden Bau nicht ständig die größtmögliche Optimierung zu suchen. Diesen Anspruch hat man am BER längst aufgegeben.