Die Arbeit unter Tage war kein Zuckerschlecken Foto: Duval

An heißen Sommertagen tut Abkühlung not. Wem der Trubel im Freibad zu viel ist, kann sich unter Tage begeben. Im Hella-Glück-Stollen in Neubulach herrschen angenehme acht Grad, reine Stollenluft gibt es gratis dazu.

An heißen Sommertagen tut Abkühlung not. Wem der Trubel im Freibad zu viel ist, kann sich unter Tage begeben. Im Hella-Glück-Stollen in Neubulach herrschen angenehme acht Grad, reine Stollenluft gibt es gratis dazu.

Neubulach - Mit einem beschwingten „Glück auf“ begrüßt Eberhard Hauser von der Stollengemeinschaft Neubulach seine Gruppe. Ein letzter Check: Sitzt der Helm, hat jeder sein Cape übergestreift? Behelmt und mit neofarbenen Umhängen, die die Teilnehmer wie eine Truppe Zwerge aussehen lassen, betreten sie hintereinander den Stolleneingang. Auf den ersten Schritten tappt man im Dunkeln, bis sich die Augen an die schummrige Höhlenbeleuchtung gewöhnen. Eng ist es, kühl und nass. Ein merkwürdiges Gefühl ist das, im Schlund der Erde zu stecken. Was, wenn plötzlich das Licht ausfällt? Und dieses Getropfe von den Wänden. Woher kommt das Wasser? Doch die Bedenken verfliegen und weichen einer faszinierenden Neugierde. Schnell ist jedem bewusst, weshalb ein Helm auf dem Kopf sitzt. Selbst kleine Personen müssen sich ducken, der Helm schabt am Fels des Stollens.

Der Gang unter Tage ist eine Reise in die Vergangenheit. Neubulach erlebte im Mittelalter seine Blütezeit. Mitte des 13. Jahrhunderts war der kleine Ort, auf der Hochfläche zwischen den Tälern der Nagold und der Teinach gelegen, eine der führenden Bergbaustädte im nördlichen Schwarzwald. Oberhalb der Schächte, in denen Azurit, Malachit und silberhaltige Fahlerze gefördert wurden, gründeten die Bergleute die Siedlung, in der sie mit ihren Familien wohnten. Um das Jahr 1274 wurde dem Ort vom Grafen von Hohenberg das Stadtrecht zugesprochen. „Wir befinden uns jetzt 60 Meter unter der Erdoberfläche“, erklärt Eberhard Hauser und macht auf die gute Luft aufmerksam.

1972 sprengte man einen zusätzlichen Stollen, in dem eine Therapiestation für Atemwegserkrankungen eingerichtet wurde. Der Heilstollen ist kostenpflichtig. Während der Führung muss man aber nichts für die reine Luft bezahlen. „Die ist im Preis enthalten“, lacht Hauser und erklärt, wie der einzigartige Luftaustausch im Berg funktioniert: Die Lufttemperatur im Stollen beträgt sommers wie winters konstante acht Grad Celsius. Im Sommer zieht die warme Luft in den Berg hinein und kühlt sich ab. Dabei sinkt sie 60 Meter abwärts durch die Spalten und Risse des Berges. Ein immerwährender Kreislauf, der sich alle eineinhalb Stunden wiederholt. Durch die ständige Filterung bleibt die Stollenluft besonders rein und frei von Staub und Pollen. Zusätzlich fördert die niedrige Temperatur die Atmung, was sich positiv auf Menschen auswirkt, die unter Atemwegserkrankungen und Allergien leiden.

Gute Luft hin oder her, für die Bergleute war die Arbeit im Stollen kein Zuckerschlecken. Während einer acht- bis zehnstündigen Schicht schaffte ein Bergarbeiter mit seinem Gezähe, das aus Schlägel und Eisen bestand, einen Vortrieb von rund drei bis sieben Zentimetern. Eine beachtliche Leistung. Auf diese Weise entstanden Stollen mit einer Gesamtlänge von 20 Kilometern.

Der Silberabbau kam nach der Entdeckung Amerikas zum Erliegen

Ab dem 16. Jahrhundert konnten die Stollen dank der Erfindung des Schwarzpulvers gesprengt werden. Hauptsächlich waren es Wissmuthfahlerze, die in den Stollen gefördert wurden. Aus einer Tonne gewann man drei bis vier Kilogramm reines Silber. Allerdings kam der Silberabbau bald zum Erliegen. Columbus entdeckte Amerika, und die Spanier begannen die Silbervorkommen in Südamerika auszubeuten. Das war erheblich billiger und verdarb die Preise auf dem europäischen Markt. Der Abbau im Schwarzwald lohnte sich nicht mehr.

Hauser hat seine Gruppe fast einen halben Kilometer in den Stollen geführt. Er versammelt seine Leute „vor Ort“, wie es in der Bergmannssprache heißt, in der Haspel Azurithöhle. Überall öffnen sich kleinere Schächte wie feine Adern in einem Blutkreislauf. Manche sind so eng, dass man sich kaum vorstellen kann, wie hier ein erwachsener Mann arbeiten konnte. Die Stollen werden von Holzbalken, sogenannten Stempeln, abgestützt, denn im Buntsandstein kam es wegen des schweren Gesteins häufig zu Einstürzen.

Trotz der schummrigen Beleuchtung schillern die Felswände in einer unglaublichen Farbenpracht von Azurblau bis Smaragdgrün. Eberhard Hauser richtet seine Lampe in einen unbeleuchteten Teil. Die Gruppe steht vor einem gewaltigen Felsspalt, nur durch ein kleines Geländer abgesichert. In solchen Spalten befindet sich das Erz. Das in den Berg eindringende Wasser lief acht bis zehn Kilometer in den Fels, wurde erwärmt und stieg als Wasserdampf aufwärts, wo es kondensierte und sich in Form von Mineralien an den Wänden ablagerte. „Abkratzen nützt nichts, das Einzige, das abgeht, ist ihr Fingernagel“, gibt Hauser zu bedenken, als einer aus der Gruppe an den Quarzen am Fels schabt.

1920 wurde zum letzten Mal im Stollen gearbeitet

Weil sich Silber eben nicht so von den Stollenwänden kratzen lässt, war der Silberabbau in den vergangenen Jahrhunderten wenig ertragreich. Ein letzter Versuch, Profit aus dem Stollen zu schlagen, wurde 1920 unternommen, als ein großes Azuritvorkommen entdeckt wurde. Das Kupfererz mit seiner azurblauen Farbe wurde vor allem als Malerfarbe nach Italien exportiert. Nachdem auch diese Abbauversuche keinen Erfolg versprachen, kam der Bergbaubetrieb endgültig zum Erliegen.Während des Zweiten Weltkriegs entstand eine Aufbereitungsanlage, um Wissmuthfahlerz als Aluminiumveredler in der Flugzeugindustrie einzusetzen. Das Werk ist noch vor Inbetriebnahme von den Franzosen gesprengt worden. In der Nachkriegszeit waren die halb verfallenen Stollen beliebter Abenteuerspielplatz der Neubulacher Jugend. Aus ihnen ging später die Stollengemeinschaft hervor, die sich seither um die Erhaltung kümmert und jährlich den Weihnachtsmarkt in und um den Stollen ausrichtet.