Eine Welt der Schaltungen – Benedikt Cumberbatch spielt in „The Imitation Game“ das Mathematik-Genie Alan Turing. Foto: Jack English/SquareOne Entertain

Er war der Meisterdetektiv Sherlock Holmes, der Sklavenbesitzer in „12 Years A Slave“, der Fiesling in „Star Trek: Into Darkness“, Julian Assange in „Inside Wikileaks“. Nun wird der 39-Jährige für „The Imitation Game“ gefeiert. Benedikt Cumberbatch spielt das Mathematik-Genie Alan Turing.

Mister Cumberbatch, was wussten Sie vor diesem Film von dem Helden, den Sie spielen?
Ich wusste ein bisschen durch den Film „Der codierte Mann“ mit dem wunderbaren Derek Jacobi in der Rolle des Alan Turing. Aber vieles hat mich beim Lesen des Drehbuchs überrascht. Mein Gefühlszustand schwankte zwischen bewegt, schockiert und amüsiert, als ich erfuhr, was in diesen Leuten vorging beim Knacken dieses Codes. Besonders dramatisch fand ich, wie grässlich Alan nach dem Krieg behandelt wurde. Das ist ein weitgehend unbekanntes Kapitel in unserer Kultur, das erst in den letzten fünf Jahren thematisiert wurde. Umso mehr war uns bewusst, dass wir gute Arbeit mit diesem Film liefern musste, weil er eine sehr wichtige Geschichte erzählt.
Ist Alan Turing für Sie ein vergessener Held?
Turing ist ein Nationalheld, seine wissenschaftlichen Verdienste stehen auf der Stufe eines Charles Darwin oder Isaac Newton – und dennoch ist er relativ unbekannt. Turing hätte es verdient, mit einer eigenen Banknote gewürdigt zu werden. Dass er so lange vergessen wurde, lag zum einen daran, dass sein Schaffen noch viele Jahre nach Kriegsende der Geheimhaltung unterlag. Zum anderen aber auch wegen der Art, wie die Behörden ihn behandelt haben. Turing hat nie nach öffentlicher Anerkennung gestrebt, er schrieb nie Bücher über seine Erkenntnisse, die ihn zum berühmten Wissenschaftler hätten werden lassen.
Hat die Verfilmung dieser Geschichte so lange gedauert, weil der Held homosexuell ist?
Nein, das ist eine Geschichte über die Liebe, deren Held nun eben einmal schwul ist und ganz offen damit umgeht. Das Abscheuliche daran ist, wie er von der Gesellschaft behandelt wird. Es herrschte ein Klima aus Intoleranz, Angst und Paranoia, das an den Antikommunismus der McCarthy-Zeit erinnert. Im Kern geht es im Film um die Frage, wie man ein geheimes Leben lebt und nicht jene Dinge tun kann, die man möchte.
Was haben Sie über Turing herausgefunden?
Alan mag im sozialen Umgang sonderbar erscheinen, aber er ist kein Autist, er leidet nicht unter dem Asperger-Syndrom. Er ist ein sehr sensibler Mensch mit problematischer Kindheit. Er wuchs in einer Pflegefamilie auf und lernte seine leiblichen Eltern erst als Vierjähriger kennen. In der Schule wurde sein Talent ignoriert. Kein Wunder also, dass er sich innerlich zurückzog. Schließlich findet er in einem Mitschüler jemanden, der ihn versteht und in den er sich verliebt – und dieser Junge stirbt plötzlich.
Wäre der verschrobene Turing für Sie ein angenehmer Zeitgenosse?
Seine Nichten beschreiben, welch angenehmer Spielgefährte er für sie war und dass er sie besser behandelte als jeder andere Erwachsene. Andere Zeitzeugen berichten, wie unglaublich freundlich und fürsorglich Alan war. Bei Gesprächen sah er seinem Gegenüber stets in die Augen und hörte aufmerksam zu. Er war unglaublich gut im Teamwork, intolerant wurde er nur bei Leuten, die Zeit verschwendeten. Auch im Film erlebt man ihn ja nicht als unfreundlich, sondern als enorm effizient und kompromisslos. Natürlich gab es Konflikte, gleichzeitig jedoch auch wunderbare Freundschaften. Und wie jeder Mensch unterlag auch er eben Gefühlsschwankungen.
Wie groß sind Ihre Schnittmengen mit ihm?
Nicht sehr groß, wir sind ziemlich verschieden. Ich bin längst nicht so diszipliniert wie Alan, und für Mathematik hatte ich nie ein Talent, ganz im Gegenteil: Ich bin furchtbar in Mathe. Das Schöne an der Schauspielerei ist ja, dass man solch eine Figur in ihrer ganzen Tiefe zeigen kann. Es geht nicht nur um das Genie im Elfenbeinturm, sondern um den Menschen und wie er mit seiner Umwelt agiert. Der Film will schließlich keinen Vortrag über Programmiersprache bieten.
Hatten Sie eine Ahnung, was Sie da als Mathe-Genie berechnen?
Experten versuchten, mir das zu erklären, aber es ist unglaublich komplex. Er gehörte zu den Geburtshelfern der Computertechnologie und entwickelte als einer der Ersten die Algorithmen, die bis heute für Suchmaschinen wie Google Verwendung finden. Das sind wunderbar simple Ideen – aber enorm tiefgründig und kompliziert.
Sie feiern Erfolge, wie gehen Sie mit den Nebenwirkungen des Ruhms um?
Ich kann solche Dinge ganz gut ignorieren. Natürlich ist das alles bisweilen seltsam und surreal, aber ich kann es auch genießen. Hilfreich war sicher, dass ich in diesem Jahr ziemlich mit Arbeit ausgelastet war und kaum Zeit hatte, den Rummel wirklich wahrzunehmen.
Sie selbst waren auf dem Titel des „Time“-Magazins – ist das die höchste aller Ehren?
Natürlich ist es schmeichelnd, auf dem Titel von „Time“ zu sein – wobei auch schon etliche Despoten dort abgebildet waren. Ruhm ist ein seltsamer Ausdruck für Verdienste. Die offenkundige Ungerechtigkeit sieht man schon daran, dass dem echten Alan Turing jede Anerkennung verweigert wurde, während sein Darsteller sie nun bekommt.
Wie unbeschwert lässt es sich als Promi im Alltag leben?
Es wird schwieriger, aber bislang ist es gelungen, ohne dass ich hohe Mauern errichten oder flüchten musste. Mir liegt viel daran, mein normales Leben weiterzuleben – auch wenn es manche Leute vielleicht überraschend finden, wenn ich neben ihnen in der Schlange an einer Kasse stehe oder in der U-Bahn sitze.
Sie fahren tatsächlich noch U-Bahn?
Eigentlich fahre ich lieber Motorrad – aber bei schlechtem Wetter oder wenn ich es eilig habe, nehme ich die U-Bahn.
Wussten Sie, was Sie in diesem Beruf erwartet?
Durch meine Eltern hatte ich eine ziemlich klare Vorstellung, wie die Wirklichkeit für Schauspieler aussieht – ich hatte da wenig Illusionen. Wobei es für deren Generation in diesem Beruf noch ganz anders zuging als heute. Damals gab es weit weniger Möglichkeiten, und nur wenigen gelang es, in jungen Jahren bereits Karriere zu machen. Für mich ging es vor allem immer darum, meine Fähigkeiten zu verbessern und Spaß an der Arbeit zu finden. Das war anfangs im Theater so und ist bis heute geblieben.