Schenkte dem Grau eine eigene Farbigkeit: Ben Willikens Foto: dpa

Der Titel ist Programm: „Die Anmaßung der Räume und Orte“ überschreibt Götz Adriani das von ihm für die Kunsthalle Weishaupt in Ulm erarbeitete Ben-Willikens-Panorama von den frühen Anstaltsbildern bis hin zu jüngsten Zyklen. Neues Gewicht bekommt Willikens’ Serie zu zentralen Bauten Hitler-Deutschlands.

Stuttgart - Von links fällt das Licht auf den aufwendig gerahmten Eingang. Sorgsam, wie immer bei Ben Willikens, werden die Nuancierungs-Reize der Graupalette ausgespielt. Und doch ist da mehr, verwirrt der mit einer schwarzen Rechteckfläche versiegelte Eingang. Willikens stete Bildordnung – hier schafft sie Beklemmung. Wer sehen will, sieht die Behauptung der Macht, die Fratze der Aneignung klassischer Proportionen und deren Ausschlachten für die Demonstration der Stärke. „Nürnberg, Zeppelinfeld (Eingang zur Transformatorenstation)“ – kein besonderer Ort, doch Schnittstelle für einen Ben Willikens, der sich jener „Orte“ erinnert, die Teil bundesdeutschen verdrängenden Vergessens waren: „Nürnberg, Zeppelinfeld“ also, „München, Ehrentempel“, „Berlin, Reichskanzlei“.

Auseinandersetzung mit Hitler-Deutschland

Zwei dieser „Orte“-Bilder flankieren nun im ersten Geschoss der Kunsthalle Weishaupt in Ulm das Willikens-Hauptthema „Abendmahl“. Und es ist, als hätten diese Werke auf genau diesen Auftritt gewartet. Nie hat man diese Bilder so souverän gesehen, nie zuvor auch ist ihre Eigenständigkeit so unmittelbar erlebbar gewesen. Es ist ein Dialog, der allein den Besuch des Willikens-Panoramas im Ausstellungsforum des Privatsammlers Siegfried Weishaupt rechtfertigt. „Die Anmaßung der Räume und Orte“ ist die Schau überschrieben, die Götz Adriani, Vorsitzender der Stiftung Kunsthalle Tübingen, erarbeitet hat.

Adriani, Willikens-Wegbegleiter seit einer ersten Schau in Tübingen 1975, setzt ganz auf großformatige Arbeiten. Dies erlaubt das Wiedersehen mit vielen in öffentlichen und privaten Sammlungen heute weit verstreuten Arbeiten und unterstreicht den unbedingt eingelösten Anspruch der Retrospektive. Andererseits aber zeigen doch gerade die kleinformatigen Gouachen Willikens’ Annäherung an ein Thema, dessen Durchdringung, Erweiterung – aber auch das vorsichtige Lösen von einem Thema.

Das Atelier als ewig magischer Ort

Etwas unvermittelt begegnet man in Ulm so etwa im Obergeschoss den von Willikens mit dem Zyklus-Titel „Floß“ versehenen jüngeren Szenerien, in denen die Künstlerwerkstatt selbst, in denen das Atelier zum Ort der Rückversicherung wird, zum einzig sicheren Ort, der doch zugleich immer in Bewegung bleiben muss – und dem auch der Maler mit immer neuen Fragen und Impulsen zu begegnen versucht.

„Floß“ ist – auch in der Kopplung von Fotografie und Malerei – spürbar ein Experiment. Adriani nimmt in seiner Dramaturgie für das Obergeschoss von hier aus nicht nur Anlauf für die Frage, in welche Richtungen Willikens sein Werk in jüngerer Zeit entwickelt hat, sondern konfrontiert – ganz im Sinn des Ateliergedankens – auch mit der Bedeutung der Selbstvergewisserung und dem Begriff der Wiederaufführung. Was geschieht etwa, wenn man die Räume der späten 1960er und frühen 1970er Jahre destilliert, wenn man sie wieder und wieder buchstäblich unter der Lupe betrachtet und einzelne Elemente wie die Spinde nun in Ulm zu gereihten Solisten macht? Es ist eine Frage, die hier angerissen wird, die weiter bearbeitet werden kann, und dies umso mehr, als der Maler Ben Willikens hier in der Rolle des Künstlerforschers zu erleben ist.

Fast ein wenig zur Dreingabe geraten in diesem Panorama die „Orte der Moderne“. Die Bedeutung dieses mitunter fast zu leichtfüßig erscheinenden Zyklus’ für die Frage der Farbe in Willikens’ Werk darf gleichwohl nicht unterschätzt werden.

Daimler-Engagement für die „Orte“-Serie

Und dann zieht es die Besucher wohl doch wieder in das erste Geschoss und vor den „Abendmahl“/„Orte“-Dialog. Alle Leichtigkeit jener Wandbild-Szenerien, mit denen Willikens seit den frühen 1980er Jahren den Tanz der politischen und wirtschaftlichen Eliten um das goldene Kalb der Teilhabe an der Kunst als Religions- und Werteersatz begleitete und durchaus teilweise auch illustrierte, ist hier verschwunden.

Zurückgeworfen auf den Kern analytischer Beobachtung, entfaltet gerade Willikens’ Zyklus „Orte“ – Daimler-Collection-Dauerleihgabe im Kunstmuseum Stuttgart – jene formale Klarheit und inhaltliche Bedrängung, wie sie in den 1970er Jahren seine Nervenheilanstalt-Szenerien entwickeln konnten. Die „Orte“-Bilder geben indes auch Hinweise auf einen Wandel in der Arbeitsweise des Malers. Willikens, der von 1962 bis 1965 bei Heinz Trökes an der Stuttgarter Kunstakademie studierte, findet sich mit dem „Orte“-Zyklus in jenem Feld ein, in dem künstlerische Äußerungen ein gedankliches Archiv konkretisieren. Wer den 1939 in Leipzig Geborenen an der Kunstakademie in München einmal als bis ins Konzeptuelle vorstoßenden Lehrer erlebt hat, muss in „Orte“ auch die Auseinandersetzung des Lehrers mit seinen Schülern wiederfinden. Ein doppelter Bruch ist formuliert – mit der wieder ins Bewusstsein gerufenen NaziÄsthetik wie mit der (von Willikens selbst keineswegs abgelehnten) Heroik der Kunst.

Die Liebe ist auch eine Härte

Agiert Willikens aber nicht immer und immer wieder in diesem Spannungsfeld – hier kühler Beobachter, dort virtuoser Manipulator der Einordnungsstrategen des Systems Kunst? Das 1976 entstandene Hauptwerk „Abendmahl“ provoziert diese Frage. Anmaßend wirkt mitunter der Mut, mit dem sich Willikens der Historie stellt, sich ihr aussetzt, indem der Maler sie der Wahrnehmung der eigenen Zeit aussetzt. Verbünden sich der Analyst und der Spieler mitunter auf den Wogen der Leichtigkeit, lässt die kühle Replik doch nie lange auf sich warten. Die Liebe – zu den Räumen, zu den Verhältnissen in Räumen – ist eben auch eine Härte.