Ben Becker bei den Aufnahmen zu „Rheingold“ Foto: digital

Ben Becker leiht mit seiner unverwechselbaren Stimme dem Rhein seine Stimme. Ein Gespräch über den Dokumentarfilm „Rheingold – Gesichter eines Flusses“.

Stuttgart - Herr Becker, waren Sie gleich von der Idee angetan, den Rhein zu sprechen?
Es ist schon ungewöhnlich, wenn man angerufen wird und es heißt: „Herr Becker, bitte leihen Sie dem Rhein Ihre Stimme.“ Da fragt man natürlich, wie man das machen soll. Zuerst ist dabei Fantasie gefragt. Wie man weiß, habe ich auch keine Angst vor Pathos. Und der Rhein verträgt ein bisschen davon. Wir haben der Sachlichkeit des Filmes sozusagen ein wenig „Märchenonkel Ben“ gegenübergestellt. Und wenn ich mir das fertige Werk anschaue, hat das so etwas Versöhnliches, das einen immer wieder in die Geschichte hineinzieht. Ich würde schon sagen, dass diese Idee funktioniert hat.
Wie findet man den Tonfall eines Flusses?
Man muss sich mutig aus dem Fenster hängen und es einfach mal probieren. Der Rhein trägt ja sehr viel Sagenumwobenes in sich. Mythen und Märchen schwingen in diesem Zusammenhang mit, etwas Göttliches und auch etwas romantisch Verklärtes, nicht Irdisches. Dazu braucht es nur ein bisschen Fantasie. Wenn ich im Film immer mal wieder die Stimme erhebe, dringt der Rhein sozusagen aus der Tiefe seines Bettes nach oben. Da kann man es sich leisten, hin und wieder den Märchenonkel anklingen zu lassen. Hätte ich einen normalen, dokumentarischen Off-Text gesprochen, wäre ich ganz anders an diese Aufgabe herangegangen. Letztendlich sitzt immer eine Regie hinter der Scheibe, mit der man sich austauscht: „Bist du dir sicher? Kann man sich das trauen? Mache ich jetzt zu viel?“ Man gibt sich Mühe, unter den gegebenen Bedingungen das Schönstmögliche herauszukitzeln.
Ist die Stimme ein Instrument, das der Pflege und des Trainings bedarf?
Ja, sie ist ein Instrument. Ich habe eine ernsthafte Ausbildung hinter mir, auch eine logopädische. Auf der Bühne zu sprechen ist etwas anderes, als in einem Film den Mund aufzumachen oder in einer Kabine vor einem hochsensiblen Mikrofon zu arbeiten. Man muss das erlernen, es hat mit Handwerk zu tun. Dass mir so eine tiefe Brummbär-Stimme gegeben ist, macht mir große Freude, und es macht mir Spaß, damit zu arbeiten. Ich weiß sehr wohl, dass mir auch die Gabe gegeben ist, die Leute damit einzulullen. Das versuche ich aber zu vermeiden. Außer bei meiner Tochter. Wenn ich ihr Gute-Nacht-Geschichten vorlese, bin ich durchaus daran interessiert, dass wir über das nächste Kapitel nicht mehr hinauskommen.
Welches Verhältnis haben Sie zu Richard Wagner, dessen Musik den Film prägt?
Wagner war nicht immer integer, das ist richtig. Sein Pathos und seine klassizistische, auch narzisstische Art und Weise gefallen mir eigentlich sehr gut. Es ist auf jeden Fall beeindruckend, aber man muss es auch hinterfragen. Es wäre eine falsche Herangehensweise, sein Werk einfach wegzuschieben und sich nicht damit auseinanderzusetzen. Man kann auch nicht sagen, dass Leni Riefenstahl von vorn bis hinten scheiße ist, nur weil sie 1936 die Olympiade abgefilmt hat. Das wäre mir zu einfach. Ich führe sehr gern eine ernsthafte Auseinandersetzung. Ich gebe mich Wagners Musik durchaus gern hin, aber ich weiß auch immer, womit ich es zu tun habe. Man darf das Gehirn nicht ausschalten. Wobei Wagner geradezu dazu einlädt. Gehirn aus, Hubschrauber an, und schon hat man „Apocalypse Now!“.
Würden Sie jede noch so negative Rolle spielen, wenn die Botschaft des Werkes an sich eine wertvolle ist?
Wenn ich einen künstlerischen Zugang zur Rolle finde oder meine, dass es wichtig ist, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, dann sage ich nicht Nein. Es kommt auch vor, dass ich es mit einem Werk zu tun kriege, bei dem ich sagen muss: „Nein, es tut mir leid, aber in diesem Moment nicht.“ Ich hätte momentan keine Lust darauf, mir eine SS-Uniform überwerfen zu lassen. Aber ich habe es oft getan und meine auch, dass es vonnöten war, das zu machen. Eine Drecksau muss auch gespielt werden. Und zwar so, dass sie Fragen aufwirft und zum Nachdenken anregt. Auch der Tod ist keine Figur, mit der ich jeden Abend im Bett kuscheln möchte. Trotzdem habe ich ihn oft dargestellt, und es war sehr interessant, sich damit zu beschäftigen und bei mir und den Zuschauern Fragen aufzuwerfen. Als ich in „Die Bücherdiebin“ den Tod gesprochen habe, war das sogar noch abstrakter, als dem Rhein eine Stimme zu verleihen.
Der Dokumentarfilm „Rheingold“ thematisiert auch die Gier der Menschen und zeigt deren Folgen. Glauben Sie, dass die Kunst Menschen dazu bewegen kann, die Welt zu einem besseren Ort zu machen?
Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass man sich als Künstler äußern und zum Nachdenken anregen kann. Es ist wichtig, die Dinge künstlerisch zu verarbeiten. Ich habe die Flinte nie ins Korn geworfen, ich bin gerne künstlerisch tätig. Ich rege gern zum Nachdenken an, und ich polarisiere auch gerne. Ich sehe keinen Grund, damit aufzuhören.
Sind Sie naturverbunden oder durch und durch Stadtmensch?
Ich bin sehr naturverbunden. Und leider durch und durch Städter. Ich bin gern in der Natur, und ich sehne mich nach ihr, trotzdem bin ich natürlich als Stadtmensch geboren und in der Stadt aufgewachsen. Väterlicherseits entstamme ich aber einer Landfamilie, und ich mag das Landleben sehr gern. Vielleicht verdiene ich ja irgendwann einmal genug Geld, um mir ein Landhaus in Irland zu kaufen, wo ich dann Schafe züchte. Der Gedanke verdient Vergötterung, um mit Schiller zu sprechen.
Wo ist für Sie persönlich das schönste Fleckchen Natur?
Irland mag ich schon sehr gern, aber ich finde auch Papua-Neuguinea durchaus faszinierend. Ich liebe die Österreichische Seenplatte und meine kleine Villa Kunterbunt an der Ostsee. Heute bin ich aber sehr froh, wenn ich nach der Arbeit in meinem Garten sitzen kann. Und der ist mitten in Berlin.