Wegen Überfüllung entlassen: Nach Beschluss eines Bundesgerichts in Kalifornien muss der US-Westküstenstaat aus seinen überfüllten Gefängnissen über 40.000 Häftlinge entlassen. Foto: dpa

Wegen Platzproblemen mietet die belgische Regierung für 30 Millionen Euro im Jahr ein leerstehendes Gefängnis in den Niederlanden.

Brüssel/Saint-Gilles - Das Gefängnis in Saint-Gilles sieht aus wie eine Festung aus dem Renaissance-Zeitalter: Die Zellen haben hohe Decken, die Fenster sind so entworfen, dass möglichst viel Tageslicht in die Räume fällt. Doch der schöne Schein trügt. Die 125 Jahre alte Haftanstalt ist ein Symbol für die Situation in Belgien, für spektakuläre Ausbrüche, für Gewalt hinter Gittern, für überfüllte Gefängnisse.

Die belgischen Haftanstalten platzen aus allen Nähten. Rund 10000 Gefangene sitzen derzeit ein. Es gibt aber nur Platz für 8500. Eine Lösung scheint die Regierung im Nachbarland gefunden zu haben. "Die Niederlande haben Gefängniszellen übrig, die wir dringend brauchen", sagt Lieselot Bleyenberg, Sprecherin des belgischen Justizministeriums.

Für 500 Inhaftierte mietet Belgien deshalb ein Gefängnis in Tilburg an. Von der Zusammenarbeit würden beide Länder profitieren, so Bleyenberg: Die belgischen Häftlinge hätten mehr Platz und die niederländischen Gefängniswärter gewännen Zeit, bevor ihre Anstalten geschlossen würden. Für Miete und Versorgung der Insassen zahlt die belgische Regierung jährlich 30 Millionen Euro ans Nachbarland. Die ersten Gefangenen sollen Anfang 2010 verlegt werden. Tilburg ist dann eine Filiale des belgischen Knasts Wortel, der nahe der Staatsgrenze liegt.

Der Vertrag läuft zunächst drei Jahre. Dann sollen eigene Maßnahmen greifen. "Wir werden bestehende Gefängnisse renovieren und vergrößern. Außerdem planen wir, bis 2012 neue Gefängnisse zu bauen", sagt Bleyenberg. Bis 2016 sollen einige alte Haftanstalten durch neue ersetzt werden. "Um der aktuellen Situation zu begegnen, sind die Niederlande erst einmal die optimale Lösung."

Wegen der gemeinsamen Sprache sollen nur flämische Häftlinge nach Tilburg überstellt werden. Dann gelten belgische Vollzugsregeln auf holländischem Boden. Zum Beispiel dürfen belgische Gefangene dreimal in der Woche Besuch von Verwandten empfangen, Häftlinge in den Niederlanden nur einmal. Auch werden nur Häftlinge ohne Freigang in Tilburg untergebracht. "Alles andere wäre zu kompliziert", sagt Job van de Sande, Sprecher des niederländischen Justizministeriums.

Gino Hoppe von der Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst sieht das Modell kritisch: "Die Lösung kommt die Steuerzahler viel zu teuer", sagt er. In Belgien würden Häftlinge für 127 Euro pro Tag einsitzen. Die 30-Millionen-Euro-Zahlung an die Niederlande entspreche 164 Euro pro Gefangenem am Tag. Hoppe glaubt zudem nicht daran, dass tatsächlich zusätzliche Zellen in Belgien entstehen. Das sei schon oft versprochen worden. "Ich bin überzeugt, dass die Häftlinge auch nach 2012 bleiben, wo sie sind: in überfüllten Gefängnissen."

Für Manuel Lambert von der belgischen Menschenrechtsorganisation Ligue des Droits de l'Homme liegt das eigentliche Problem ganz woanders: "Schuld ist eine Justiz, die immer höhere Strafen verhängt. Er fordert ein Umdenken der Politik. "Sonst können wir irgendwann auch in Deutschland und Luxemburg Mietverträge unterschreiben." Noch vor zehn Jahren hatten die Niederlande selbst mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen.

"Seit einigen Jahren sind aber vor allem die Gewaltverbrechen stark rückläufig, und auch der Drogenschmuggel lässt aufgrund verschärfter Kontrollen nach", erklärt van de Sande. "So kommt es, dass einige Gefängnisse leer stehen."

In Tilburg gibt es 681 Zellen, die mit Toiletten, Fernsehen und Mikrowelle ausgestattet sind. Außerdem sind ein Kicker und Tischtennisplatten aufgebaut. Die Häftlinge sollen von ihren Fenstern aus sogar das Training des Fußball-Erstligisten Willem II. verfolgen können. Die österreichische Zeitung "Die Presse" zitierte den belgischen Justizminister Stefaan de Clerck nach einem Ortsbesuch: "Unsere Gefangenen werden hier ein Luxusleben hinter Gittern führen können, das ist alles sehr häuslich hier."