Eine Prostitutierte soll in Stuttgart von einem Polizisten angegriffen worden sein Foto: dpa

Ein Aufpasser eines Bordells steht vor dem Amtsgericht, weil er einen Polizisten verletzt hat. Der Beamte soll zuvor Gratis-Sex in dem Etablissement gefordert haben.

Stuttgart - Es ist der Abend des 13. November vorigen Jahres. Ein junger Mann mit übergezogener Kapuze kommt in Begleitung einer Prostituierten in ein Laufhaus an der Weberstraße im Leonhardsviertel. Nichts Besonders, Alltag im Rotlichtviertel. Das ändert sich nach wenigen Minuten schlagartig. „Ich habe aus dem Untergeschoss Geschrei gehört und bin sofort runter“, sagt der 29-jährige Mann, der in dem Bordell als Wirtschafter arbeitet und der wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht steht. Dabei habe er einen stählernen Teleskopschlagstock gehabt. Schließlich sei er ein gebranntes Kind. Denn nur vier Monate zuvor hatte ein Freier just in diesem Bordell eine Prostituierte mit einem Messer verletzt.

„Als ich unten war, wollte der Typ zur Hintertür raus“, sagt der Angeklagte. Die Tür sei aber verschlossen gewesen. Der Mann habe gesagt, man solle ihn gehen lassen, er sei von der Polizei. Das kam für den Wirtschafter aber nicht infrage. Erstens habe er ihm das nicht abgenommen. Und zweitens soll der mutmaßliche Freier die Hure zuvor angegriffen haben. Dann sei der Unbekannte auf ihn zugekommen und habe dabei unter seine Jacke gegriffen, sagt der kräftige Wirtschafter. „Da habe ich mit dem Schlagstock zugeschlagen, aber nicht gezielt“, betont er. Das Opfer trägt eine Platzwunde am Kopf davon. Oben im Büro warten die Beteiligten auf die Polizei. Es stellt sich heraus, dass der Verletzte tatsächlich Polizeibeamter ist.

Die Liebesdienerin kann nicht vernommen werden. Sie ist nicht mehr in Stuttgart. Ein Kriminalbeamter berichtet über die Vernehmung der Frau. Sie habe den ihr unbekannten 21-jährigen Polizeimeister demnach auf der Straße angesprochen, man sei in ihr Zimmer gegangen, wo sie 30 Euro Dirnenlohn eingefordert habe. „Ich zahle nicht, ich bin von der Polizei“, soll der Mann gesagt und ihr einen Dienstausweis gezeigt haben. Polizisten müssten aber auch bezahlen, so die Dirne. Wenn sie ihm nicht gefällig sei, bekomme sie Ärger, soll der Mann gedroht haben. Auch soll der mutmaßliche Freier versucht haben, sie zu schlagen. Die Dirne habe sich an ihm vorbei aus der Tür gedrängt und um Hilfe gerufen, bis der Angeklagte mit dem Schlagstock auftauchte.

„Ich hatte das schon von anderen Frauen gehört“, sagt der Wirtschafter. Da soll in den Monaten zuvor ein Polizist Gratis-Sex gefordert haben. „Ich habe das nicht geglaubt. Das gibt’s bei der deutschen Polizei doch nicht“, so der 29-Jährige.

Das scheint es doch zu geben, wenn man den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft folgt. Mindestens in diesem Einzelfall. Denn der Polizeimeister außer Dienst aus einem Landkreis nördlich von Stuttgart wird der Erpressung, der versuchten Erpressung und der Bestechlichkeit beschuldigt. Im Herbst soll sein Prozess stattfinden. Es heißt, der junge Beamte habe beispielsweise einmal eine Dirne, die ihm nicht gratis zu Diensten sein wollte, wegen unerlaubter Straßenprostitution angezeigt. Und das sei bei Weitem noch nicht alles.

Im Zeugenstand verweigert der anwaltlich vertretene Polizeimeister die Aussage zu diesen Vorwürfen. Schließlich steht sein Prozess noch aus. Er macht lediglich Angaben zu seinen erlittenen Verletzungen. „Ich bin vom Angeklagten angeschrien worden“, sagt er. „Er hat gesagt, ich komme hier nicht lebend heraus“, so der 21-Jährige über den Angeklagten.

Und dann habe der Wirtschafter ihm einen Faustschlag ins Gesicht und schließlich einen wuchtigen Hieb mit dem Schlagstock auf den Kopf verpasst. „Ich habe stark geblutet und hatte Todesangst“, so der Beamte.

Wie er denn in das Gebäude, sprich in das Bordell an der Weberstraße gekommen sei, will Verteidiger Stefan Holoch wissen. Dazu jedoch macht der 21-Jährige keine Angaben. In einer früheren Stellungnahme heißt es indes, er sei sozusagen in das Bordell gezerrt und dort sofort geschlagen worden.

Der angeklagte Wirtschafter sagt, er habe sich den Schlagstock erst seit dem Vorfall mit dem Messerstecher zugelegt. Vier Monate vor dem Aufeinandertreffen mit dem Polizeimeister war ein 52-jähriger Mann mit einem Messer auf eine Dirne in ihrem Zimmer im selben Etablissement losgegangen. Der Wirtschafter und seine Kollegen konnten den Mann überwältigen. Die Frau trug einen Schnitt am Hals davon. Der schwer kranke Täter wurde vom Landgericht wegen versuchten Mordes zu vier Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt.

Diese hochgefährliche Aktion kommt dem Angeklagten im Nachhinein zugute. „Er ist mit diesem Schlagstock sicher übers Ziel hinausgeschossen“, sagt die Einzelrichterin. Der 29-Jährige sei aber nicht vorbestraft und habe wohl an jenem Abend des 13. November 2013 einen Angriff des Mannes befürchtet. Verteidiger Holoch regt eine Einstellung des Verfahrens an. „Nicht ohne Geldauflage“, macht die Anklägerin klar.

So kommt es schließlich. Das Verfahren wird eingestellt, der Wirtschafter muss 2000 Euro an den Verein Frauen helfen Frauen bezahlen. Damit ist die Sache für ihn erledigt – mehr oder weniger jedenfalls. Denn im Herbst gibt es ein Wiedersehen mit dem Polizeimeister unter umgekehrten Vorzeichen. Dann ist der Wirtschafter Zeuge, der Beamte Angeklagter.