Ein NH90-Hubschrauber nimmt Gebirgsjäger während der Einsatzprüfung „Fliegen im Gebirge“ auf. Foto: Bundeswehr/Stefan Wagner

Vom Baukasten zum Kampfverband: So erfasst die nächste Reform von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Gebirgsjäger. Diese stehen nach einer langen Fokussierung der Bundeswehr auf die Auslandseinsätze vor neuen Herausforderungen.

Bad Reichenhall - Alexander Sollfrank lächelt: „Einen Gebirgsjäger glücklich zu machen kostet nicht viel“, sagt der Ober-Gebirgsjäger des deutschen Heeres. Um gleich im Anschluss von der „tollen Wärmehose und der tollen Wärmejacke“ zu schwärmen, die zuletzt in den Ausrüstungsbestand seines Verbands gekommen sind. Auch davon, dass der „super Schneetarnanzug“ inzwischen für alle 4500 Soldaten der größten Heeresbrigade zur Verfügung stehe.

Gemessen an den Investitionen in den neuen Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum, der auf 13 000 Dienstposten anwachsen soll, in Kampfschiffe oder Transportflugzeuge für Marine und Luftwaffe nimmt sich die Verbesserung der Ausstattung der Gebirgsjägerbrigade 23 in der Tat bescheiden aus. Aber auch diese neuen Klamotten stehen für die vor rund einem Jahr begonnene Trendwende in der Bundeswehr: mehr Geld, bessere Ausrüstung, mehr Personal. Sie stehen ebenso für die Rückbesinnung auf Landes- und Bündnisverteidigung als zentrale militärische Aufgabe. Gedacht als Deutschlands Antwort auf sicherheitspolitische Veränderungen, die von russischer Landnahme in der Ukraine bis zu terroristischer Bedrohung reichen.

Neue Herausforderung nach langer Fokussierung auf Auslandseinsätze

Wohin Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Truppe entwickeln will, geht am anschaulichsten aus einem Papier ihres Planungsstabs vom 16. März hervor, das den sperrigen Titel „Vorläufige konzeptionelle Vorgaben für das künftige Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ trägt. Da taucht auf Seite 21 die Gebirgsjägerbrigade als eine der acht (und von 2032 an zehn) Brigaden auf, die das Rückgrat dessen bilden sollen, was das Heer zur Landes- und Bündnisverteidigung beiträgt.

Was nach Selbstverständlichkeit klingt, bedeutet nach 20 Jahren Fokussierung auf Auslandseinsätze, nach einer Phase, in der das Kämpfen mit modernsten Mitteln, höchster Geschwindigkeit und Intensität nicht im Mittelpunkt von Ausbildung und Ausrüstung stand, eine neue Herausforderung. Das Planpapier setzt auf den folgenden Seiten ehrgeizige Zielmarken für das Tempo, in dem die Großverbände des Heeres gefechtsbereit sein müssen. Und es nennt eine Fülle neu zu entwickelnder Fähigkeiten. „Dabei müssen wir andere Lagen und Rahmenbedingungen berücksichtigen, als sie noch vor wenigen Jahren gegeben waren“, erläutert Sollfrank – „etwa Bedrohungen aus dem Internet oder die hybride Kriegführung“, die militärische und zivile Mittel mischt.

Trotz der Einsatzbelastung muss viel geübt werden

Im Kern geht es darum: Zuletzt dienten die Brigaden als Baukästen, aus denen einzelne Elemente nach Bedarf der jeweiligen Einsätze bereitgestellt und mit anderen Verbänden und Einheiten aus der Bundeswehr eingesetzt wurden. Neu ist die Anforderung, dass die Brigade mit ihren drei Jägerbataillonen, ihrem Versorgungs-, ihrem Pionier- und ihrem Aufklärungsbataillon als geschlossener Kampfverband operieren kann.

Das heißt: üben, üben, üben. Und zwar neben der Belastung durch die aktuellen Einsätze. Bis zu 900 Soldaten der vom bayerischen Bad Reichenhall aus geführten Gebirgsjägerbrigade sind derzeit vor allem in Mali und im Nordirak engagiert. Sollfrank umreißt die Bandbreite des Trainings: ein Wettkampf in Skibeweglichkeit. Eine wegen der extremen Kälte besonders anspruchsvolle Aufklärungsübung weit ins Tiroler Hochgebirge hinein. Eine Gefechtsstandübung an Computern, „in der wir gezeigt haben, dass wir auch ein Panzerbataillon führen und wie jede mechanisierte Brigade eingesetzt werden können“. Zuletzt ein Aufenthalt des Versorgungsbataillons im Pfullendorfer Ausbildungszentrum für Spezielle Operationen. „Das und viele weitere Übungen gehören zum Programm der vergangenen Monate.“

Warum es auch in Zukunft Gebirgsjäger braucht

Aber warum braucht es überhaupt noch eine Gebirgstruppe? Das Wort „robust“ fällt immer wieder, wenn Sollfrank über die Männer und Frauen – sie haben einen Sechs-Prozent-Anteil – der Brigade spricht. Extremes Gelände, extreme Witterungsbedingungen – darauf sei keine andere Truppengattung so geeicht wie die Gebirgsjäger.

Genau da sieht Sollfrank seinen Verband, wo es im Planpapier aus dem Ministerium auf Militärdeutsch heißt: „Der Beitrag des Heeres (. . .) ermöglicht die Integration von Kräftebeiträgen kleinerer Nationen (. . .) bis zur Brigadeebene.“ Was bedeutet, dass deutsche Großverbände in der Lage sein sollen, kleinere Verbände verbündeter Staaten in ihre Operationen und auch in den Ausbildungsbetrieb einzubinden. Sollfrank verweist auf die Skandinavier als quasi natürliche Partner seiner Truppe. Er lobt die Beziehungen zu den neutralen Schweizern. „Mit dem EU-Partner Österreich bilden wir unsere Bergführer aus.“ Sollfrank zählt neueste Anforderungsprofile wie das Klettern in Städten als Gründe auf, warum es auch in Zukunft Gebirgsjäger brauche.

Mehrheit hat einen Realschul- oder höheren Abschluss

Vor allem solche mit dem richtigen Rüstzeug. Stolz verweist der General darauf, dass 57 Prozent seiner Truppe „Realschul- oder einen höheren Abschluss haben“, dass 91 Prozent der Dienstposten für die unteren Dienstgrade besetzt seien, während die Quote vor vier Jahren noch bei 57 Prozent gelegen habe, dass allein im vergangenen Jahr 1000 Soldaten neu zur Gebirgsjägerbrigade gestoßen seien. Er sieht gerade durch seinen Infanterieverband die böse Prophezeiung einer „ostdeutschen Prekariatsarmee“ für eine Bundeswehr ohne Wehrpflicht widerlegt. „Das stimmt mich zuversichtlich“, sagt Sollfrank.

Ob es für die Gebirgsjäger bei dieser Richtung, diesem Tempo bleibt, bestimmen andere. In diesem Monat musste die Entwicklung der Bundeswehr auf den Tagesordnungen des Verteidigungsausschusses dem Terrorismusverdacht gegen Soldaten und von der Leyens Suche nach Wehrmachts-Andenken Platz machen. Ganze drei Sitzungen soll es noch geben, dann ist Bundestagswahl. Was danach kommt, steht in den Sternen.