Projektleiterin Ulrike Conle begutachtet den abgedeckten Brückenspalt der A 81 der Anschlussstelle Stuttgart-Feuerbach. Foto: factum/Granville

Wie soll man da eine wichtige Baustelle einrichten, ohne den Verkehr komplett ins Stauchaos zu stürzen? An der A 81 wird nun erstmals sozusagen am offenen Herzen operiert.

Stuttgart - Vielleicht sollte Ulrike Conle öfter an Stuttgarts ungewöhnlichster Baustelle stehen. Vor ihren Augen hoppelt der Verkehr an der Anschlussstelle Stuttgart-Feuerbach der A 81 brav auf vier Spuren über die Rampen aus Stahlplatten. Es gilt Tempo 60, und manche sind jetzt nur in Schrittgeschwindigkeit unterwegs. Vor Wochen raste man hier noch mit bis zu 129 Sachen – per Schanzensprung ins Fahrverbot.

Die Bauingenieurin und Projektleiterin aus dem Baureferat West des Regierungspräsidiums ist zufrieden: „Wir beschreiten hier neue Wege“, sagt sie. Denn eigentlich dürfte hier gar nichts rollen. Ein Meter breit ist der Spalt, der sich quer zur Autobahn über alle Spuren zieht. Die Fuge zwischen der Brücke und der Fahrbahn muss über mehrere Wochen saniert werden. Die schwer belastete Übergangskonstruktion aus Stahl nimmt die Dehnwege der Brücke auf, die über die Bundesstraße 295 zwischen Ditzingen und Stuttgart-Weilimdorf führt. Das bedeutet höchste Belastung: Laut Zählung vom August sind auf der A 81 werktags 124 000 Fahrzeuge unterwegs, Tag für Tag.

Nicht noch ein Nadelöhr!

Eine Sperrung über drei Wochen ist nicht drin. Nicht noch ein Nadelöhr auf der Autobahn. Das hat man schon seit Monaten auf der A 8 zwischen Stuttgart und Leonberg, wo bis zum Jahresende ein vierter Fahrstreifen entsteht. Dort rollen laut Verkehrszählung im August werktags über 169 000 Fahrzeuge täglich – ein Plus von 16 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. „Das ist der Unterschied zum Hochbau“, sagt Bauingenieurin Ulrike Conle, die beide Seiten kennt, „beim Straßenbau muss man immer den Verkehr berücksichtigen.“ Die Idee mit den wiederverschließbaren Verpackungen bei Schokolade, Müsli oder Käse hat nun also auch die Autobahn erreicht. Eine Baustelle öffnen und wieder verschließen, je nach Bedarf, das gehört zu den neuen Wegen, mit denen die Bauverantwortlichen im Regierungspräsidium Staus möglichst zu vermeiden versuchen. Modulares Überbrückungssystem nennt sich die Erfindung des Münchner Bauunternehmens Maurer Söhne. Nachts die Baustellen-OP am offenen Herzen, tagsüber Pflaster drauf. Nach Firmenangaben wurde das System zuvor in München und Wuppertal getestet.

Wird Tempo 60 akzeptiert?

„Wir probieren das zum ersten Mal bei uns im Regierungsbezirk Stuttgart aus“, sagt die Projektleiterin vom Regierungspräsidium. Denn es erspart den Verantwortlichen und den Autofahrern, eine Richtungsfahrbahn für mehrere Wochen komplett sperren zu müssen. So wird nur nachts zwischen 20.30 und 5 Uhr morgens gearbeitet, der deutlich geringere Verkehr kann sich mit einer Spur begnügen. Und es scheint zu funktionieren.

Doch verstehen auch die Autofahrer das System? Dass sie tagsüber auf vermeintlich freier Strecke wegen einer Schwelle auf Tempo 60 herunterbremsen müssen? „Im Feierabendverkehr geht es ohnehin selten schneller voran“, sagt Polizeisprecherin Tatjana Wimmer vom zuständigen Polizeipräsidium Ludwigsburg. Danach aber würden Schilder und Schwellen gerne übersehen. „Der Prozentsatz der schnellen Fahrer ist eher gering“, sagt die Polizeisprecherin, „aber die Spitzenreiter sind doppelt so schnell unterwegs wie erlaubt.“

Die ersten Fahrverbote werden fällig

Bei der Zentralen Bußgeldstelle des Landes in Karlsruhe sind bereits die ersten 170 Sündenfälle eingegangen – erwischt beim Baustellenstart am 25. September. „131 Fälle werden zur Anzeige gebracht“, sagt die zuständige Sprecherin Irene Feilhauer, „davon erwartet zehn Autofahrer ein Fahrverbot.“ Weil sie das Tempolimit außerorts um mehr als 41 km/h überschritten hatten. 98 Fahrer werden einen Bußgeldbescheid bekommen. Immerhin: Die Kontrollen zeigen Wirkung. Bei der ersten Polizeikontrolle waren 170 von 5800 Autofahrern zu schnell – mit bis zu 129 Kilometern pro Stunde. Bei der zweiten Kontrolle gab es nur noch 77 Verstöße bei 10 800 gemessenen Fahrzeugen. Spitzenwert: nur noch 118 km/h. Die Stoßdämpfer scheinen es ja auszuhalten.

Noch bis 21. Oktober wird in Fahrtrichtung Heilbronn der Brückenspalt saniert. Dann geht es in der Gegenrichtung weiter – der Verkehr Richtung Stuttgart wird dann den Fuß vom Gaspedal nehmen müssen. Projektleiterin Ulrike Conle kann sich jedenfalls gut vorstellen, das modulare System auch an anderen Brückenbaustellen einzusetzen – etwa bei Notsanierungen. „Es funktioniert, und wir sind gut im Zeitplan“, sagt sie. Am 2. Dezember soll alles wieder hergerichtet sein. Dann hat so mancher Sünder auch seinen Führerschein wieder.