Kernkraftwerk in Hinkley Point – zwei neue Blöcke sollen dazukommen Foto: Getty Images Europe

Der geplante Bau eines neuen Kernmeilers in England provoziert immer mehr Widerstand. Jetzt wollen mehrere Stadtwerke juristisch gegen das Projekt vorgehen.

Hamburg/Tübingen - Eine Koalition aus schwäbischen Stadtwerken, Öko-Energieversorgern und Bürgern will den ersten Kernkraftwerksneubau seit 20 Jahren in Großbritannien verhindern. Mit einem offenen Brief hat sich der Öko-Energie-Versorger Greenpeace-Energy am Donnerstag an Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) gewandt. Ziel ist es, die Bundesrepublik Deutschland zum Beitritt zu einer Klage gegen das Milliardenprojekt Hinkley Point zu bewegen.

„Wir erwarten, dass der Bundeswirtschaftsminister jetzt endlich zu seinem Wort steht und gegen die unfairen Beihilfen vorgeht“, sagt Sönke Tangermann, Vorstand bei Greenpeace Energy in dem Schreiben. Gabriel hatte sich früh gegen eine öffentliche Finanzierung des Projekts mit Steuermitteln ausgesprochen, seinen Kurs in der Zwischenzeit aber geändert. Auch die EU, die dem Vorgang zunächst kritisch gegenüberstand, ist umgeschwenkt und hat die geplanten Beihilfen im Oktober 2014 durchgewunken.

In der Folge will nun auch Deutschland nicht gegen die Milliarden-Subventionen für den Reaktorneubau vorgehen. Anders haben sich Österreich und Luxemburg entschieden, die das britische Projekt per Klage verhindern wollen.

Vor allem die milliarden schweren Beihilfen sind es, die in der Kritik stehen. Allein der Bau der zwei neuen Kernkraftwerksblöcke – Hinkley Point C – mit einer Leistung von etwa drei Gigawatt soll gut 20 Milliarden Euro kosten, abgesichert durch Bürgschaften Großbritanniens.

Außerdem soll die britische Regierung dem Betreiberkonsortium um den Großkonzern Électricité de France (EDF) einen Fixpreis für jede erzeugte Megawattstunde Energie gewähren dürfen. Dieser liegt mit rund 117 Euro weit über den britischen Marktpreisen – und wird dem Betreiber für 35 Jahre zugesichert. Zum Vergleich: Eine Megawattstunde Strom kostet in Deutschland derzeit im Börsenhandel gut 30 Euro. Weil auch ein Inflationsausgleich für die Zahlungen vorgesehen ist, gehen Fachleute davon aus, dass sich allein diese Subvention bei einer Betriebszeit von 35 Jahren auf 70 Milliarden Euro summieren könnte. Grob gesprochen würde die Stromproduktion im hoch subventionierten Kernmeiler Hinkley-Point die EU-Steuerzahler nach Expertenangaben gut dreimal so teuer kommen, wie in einem vergleichbaren modernen Kohle- oder Gaskraftwerk. Bei Hinkley Point C handele es sich „um eine ökologische und ökonomische Auslauftechnologie, die mit Milliarden-Subventionen noch künstlich am Leben gehalten werden soll“, sagte Sylvia Kotting-Uhl, Sprecherin der Bundesgrünen für Atompolitik, unserer Zeitung.

Die Verwerfungen, die sich aus dem Reaktorprojekt für den europäischen Strommarkt ergeben, haben nun auch eine Koalition aus Stadtwerken auf den Plan gerufen. Mit einer Beschwerde bei der EU-Kommission, der sich schon rund 75 000 Bürger angeschlossen haben, macht der Ökostrom-Versorger EWS Schönau seit Monaten gegen die Pläne mobil.

Nach Informationen unserer Zeitung streben nun auch mindestens vier Stadtwerke aus dem Großraum Stuttgart eine Klage gegen die EU-Kommission wegen der Genehmigung der Beihilfen an. Die Stadtwerke Schwäbisch Hall hatten dies bereits Anfang Mai angekündigt. Nun treten der Klagegemeinschaft nach Informationen unserer Zeitung auch die Lokalversorger in Tübingen, Mühlacker und Bietigheim-Bissingen bei.

Die Geschäftsführer der Stadtwerke Tübingen, Achim Kötzle und der Stadtwerke Bietigheim-Bissingen, Rainer Kübler, bestätigten entsprechende Pläne. „Wir haben grünes Licht von unserem Aufsichtsrat, und ich gehe davon aus, dass wir klagen“, sagte Kötzle. Kübler sagte, die geplanten Milliardenbeihilfen beeinflussten nicht nur den britischen, sondern den Gesamteuropäischen Energiemarkt „erheblich“.

Die Stadtwerkechefs befürchten, dass hoch subventionierter Atomstrom aus Großbritannien ihnen in Deutschland das mühsam aufgebaute Geschäft mit effizienten Kraftwerken und erneuerbaren Energien kaputt machen könnte. „Wenn England Atomkraft subventioniert, tut uns das auch hier weh“, sagte Kübler. Kottig-Uhl begrüßte die Entscheidung der Lokalversorger. Hätte sich die Bundesregierung von Anfang an hinter die Energie-Unternehmen gestellt und selbst eine Klage eingereicht, hätten sich bundesweit noch viele Unternehmen angeschlossen.“