Flying Bach 2013 beim Musikfest Stuttgart Foto: Holger Schneider

Barockmusik und Breakdance: Darf man das zusammenbringen? Diese Frage stellt sich, nachdem die Flying Steps zu Bach abhoben, nur noch Puristen der klassischen Musik. Im Juli kommen die Berliner Breaktänzer mit ihrer Bach-Show nach Stuttgart.

Stuttgart - Immer wieder gab es zaghafte Versuche, Musik von Johann Sebastian Bach „zu vertanzen“. Doch so furios, wie die Flying Steps – mehrfache Weltmeister im Breakdance – Note für Note des Meisters in Bewegungen umsetzen und sie sogar visualisieren, ist zuvor noch kein Versuch ausgefallen, und mit ihrer Vereinigung von ehemaliger Straßenkultur und hehrer Hochkultur gibt die Truppe eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob die beiden so unterschiedlichen Welten zusammenpassen. Für ihre 2010 uraufgeführte Show „Red Bull Flying Bach“ wurden die Flying Steps mit dem Echo-Klassik-Sonderpreis ausgezeichnet. Seitdem touren sie durch die Welt und kommen in diesem Sommer auch nach Stuttgart.

Die Idee zu einem 70-minütigen Stück, in dem Breakdance zum „Wohltemperierten Klavier“ von Johann Sebastian Bach getanzt wird, kam Vartan Bassil, Gründer der Truppe, nach einem Klassikkonzert. „Meine Schwiegermutter nahm mich öfter zu Klassikkonzerten mit, ich hab’ mich gelangweilt, aber ich fand die Vorstellung toll, dass an die Stelle einer Balletttänzerin, die ihre Pirouetten auf den Zehenspitzen dreht, ein Breaktänzer treten könnte, der beim Headspin auf seinem Kopf rotiert“, sagt Bassil, Choreograf und einer der beiden künstlerischen Leiter der Show.

Bassil, gebürtiger Libanese, hatte mit seinem Freund Kadir „Amigo“ Memis schon 1993 in Berlin die Flying Steps gegründet. Sie waren Autodidakten, ließen sich von Filmen wie „Beat Street“ und anderen Tänzern inspirieren. Bald entwickelten sich die Flying Steps zu einer der besten Breakdance-Crews. 1994 gewannen sie zum ersten Mal das „Battle of the Year“, die Weltmeisterschaft der Breakdancer, 2005 und 2007 das Red Bull Beat Battle. Seit 2007 lehren sie an der eigenen Flying Steps Academy in Kreuzberg den Nachwuchs. 2013 zog die Tanzschule ins ehemalige Aqua-Butzke-Werk am Moritzplatz. „Wir haben schon immer verrückte, neue Sachen gemacht, Breakdance zu türkischer oder arabischer Musik ausprobiert zum Beispiel“, sagt Bassil.

Dass aber seine „coole Idee“, Breakdance mit klassischer Musik zusammenzubringen, auch funktionieren konnte, dazu brauchte der Autodidakt einen Profi. Ihn fand er im Opernregisseur Christoph Hagel. „Christoph hat uns die Musik erklärt, und es war klar, dass er in jeder Show das ‚Wohltemperierte Klavier‘ live spielen würde. Eine Konserve klingt immer gleich, Livemusik zwingt uns zu ständig neuem Reagieren“, sagt Vartan Bassil.

Glücklicherweise sind Christoph Hagel, der zweite künstlerische Leiter, und Vartan Bassil, der die Choreografie erdachte, nicht der Versuchung erlegen, die Musik als reine Unterlage für den Tanz zu missbrauchen. Klavier- und Cembalo-Soli haben ihren gleichberechtigten Part neben Kompositionen auf dem Synthesizer von Ketan und Vivan Bhatti.

Im Oktober 2011 begeisterten die Flying Steps Besucher in der Ludwigsburger Friedenskirche. Im September 2013 waren sie mit ihren Ideen zu Präludien und Fugen aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ schon zu Gast beim Musikfest Stuttgart im Hegelsaal der Liederhalle. Dorthin laden sie auch jetzt wieder ein. Den Part der klassischen Tänzerin – in Ludwigsburg war es die Japanerin Yui Kawaguchi – übernimmt diesmal Anna Holmström. Die Schwedin studierte Tanz an der Royal Swedish Ballet School, beherrscht aber auch zeitgenössischen Tanz, rhythmische Sportgymnastik und Jazzdance.

„Eigentlich ist in Europa die Begeisterung für unsere Show am stärksten, denn hier ist man von Klassik begeistert, aber auch in Breakdance erfahren“, sagt Co-Choreograf Michael Rosemann. Wer je eine Aufführung der Flying Steps erlebt hat, ist fasziniert von der Rasanz, dem Tempo, der Körperbeherrschung, die die Tänzer in minutenlang dauernden Headspins (Rotationen auf dem Kopf) und Swipes (Sprüngen um die Körperachse) präsentieren.

Wie lange kann der Körper eines Tänzers das aushalten? „Na ja, ich bin ja hier der älteste und auch Familienvater, war aber bisher immer mit auf der Bühne“, lacht Michael Rosemann. Und berichtet, dass er neben dem Tanzen in der Show Choreograf sei und schon jahrelang Unterricht an der Berliner Akademie gebe. „Man muss auf seinen Körper hören, das ist nicht anders als im klassischen Ballett“, sagt Tänzer Niranh Chantabouasy, Spezialist der Flying Steps für Locking und Popping.

In diesen Wochen begann die „Red Bull Flying Bach“-Deutschlandtour 2015. Am 18. und 19. Juli sind die Flying Steps in Stuttgart in der Liederhalle zu erleben. „Wir freuen uns immer, nach Stuttgart zu kommen, hier gibt es eine breite Hip-Hop-Szene“, sagt Michael Rosemann.

Karten: 07 11 / 2 55 55 55.