Menschenmassen und Fahrgeschäfte auf dem Wasen wirken schon wenige Sekunden nach dem Start wie Puppenspielzeug. Foto: Annina Baur

Bei der traditionellen Ballon-Wettfahrt während des Volksfests könnte der Gegensatz zum Rummel kaum größer sein: Wenige Sekunden nach dem Start wirken Riesenrad und Achterbahn wie Puppenspielzeug und es herrscht friedliche Stille.

Bad Cannstatt - Dumpf dröhnen die Bässe der Fahrgeschäfte von der einen Seite und rauscht der Verkehr auf der Bundesstraße von der anderen Seite. Wolfgang Hirsch und Claude Oughourlian lassen sich davon nicht stören. Sie haben gute Laune: „Es ist toll, dass endlich mal wieder eine Ballon-Wettfahrt während des Volksfests stattfinden kann“, sagt Hirsch, der Vorsitzende der 130 Mitglieder starken Ballonsportgruppe Stuttgart. Petrus und andere Widrigkeiten hatten dem Verein in den vergangenen Jahren mehrfach einen Strich durch die Rechnung gemacht. Am Samstag wurden die Balloner entschädigt.

Bei strahlendem Sonnenschein werden auf dem Startplatz neben dem alten Reitstadion die letzten Vorbereitungen getroffen: Mit geübten Handgriffen schraubt Oughourlian den Brenner und den Ballon an den Korb, während Hirsch das Kartenbrett montiert, den Transponder einpackt, mit dessen Hilfe die Fluglotsen den Ballon auf dem Radar sehen können, und ein Gerät im Korb befestigt, mit dem Höhe, Geschwindigkeit und Fahrtrichtung gemessen werden. Mit einem großen Ventilator wird Luft ins Innere der Hülle geblasen und nach und nach mit dem Brenner erwärmt. 3400 Kubikmeter heiße Luft werden den Ballon durch die Luft tragen. Zuletzt werden noch Taschen und Jacken im Korb verstaut. Ein letztes Mal Winken und schon hebt der Ballon sanft ab.

Physikalische Grenzen gibt es nicht

Es gilt, schnell an Höhe zuzulegen, sagt der Pilot Oughourlian: Durch das Volksfest gibt es in unmittelbarer Nähe einige hohe Hindernisse wie zum Beispiel das Riesenrad. Außerdem gebietet die Großwetterlage einen schnellen Aufstieg: „Um nicht Richtung Flughafen zu schweben, müssen wir in eine Luftschicht, in der südwestliche Winde wehen“, erklärt Hirsch.

Schnell verstummen die letzten Schreie aus den Achterbahnen und wirken die Menschenmassen auf dem Volksfest wie eine bunte Ameisenmannschaft. In 1600 Metern Höhe gibt es echte Stille, die nur gelegentlich durch den Brenner oder ein Knacken im Funkgerät unterbrochen wird. „Wir haben vom Flughafen eine Freigabe für die Höhe zwischen 3500 und 5500 Fuß“, erklärt Hirsch. Dies ist die übliche Höhe für Ballonfahrten: „Normalerweise fahren wir in einer Höhe bis 2000 Metern“, sagt Hirsch.

Physikalisch seien dem ältesten aller Luftgefährte aber keine Grenzen gesetzt, zeigten Experimente wie die des Alexander Gerst. Auch die erfahrenen Piloten der Ballonsportgruppe wie Claude Oughourlian trainieren manchmal in Höhen von bis zu 5000 Metern, um etwa für eine Alpenüberquerung gerüstet zu sein: „Dann muss man schon Sauerstoff dabei haben und darf nicht nervös werden, wenn der Brenner einmal kurz ausgeht.“

Navigation geht über die Höhe

Bei der traditionellen Ballon-Wettfahrt während des Volksfests geht es jedoch nicht um Höhe, sondern um Präzision: Dem Feld voraus fährt ein sogenannter Fuchs: „Dieser Ballon legt ein Zielkreuz aus. Wer mit seiner Markierung am nächsten heran kommt, gewinnt die Wettfahrt“, erklärt Hirsch. Lenken kann der Pilot seinen Ballon nicht, Navigation geht ausschließlich über die Fahrthöhe: „In den unterschiedlichen Luftschichten herrschen unterschiedliche Winde.“ Die Höhe des Ballons kann der Pilot über den Brenner regulieren: Durch das Erwärmen der Luft steigt der Ballon nach oben, wenn die Luft sich abkühlt, sinkt der Ballon. „Wir fahren, wohin der Wind uns trägt“, sagt Hirsch. Das Tückische: Im Korb spüren die Balloner den Wind nicht – sie fahren mit dem Wind und müssen austesten, in welcher Höhe der Ballon in welche Richtung dreht, ohne ihr Ziel aus den Augen zu verlieren.

Am Tag der Deutschen Einheit bläst der Wind die zehn Teilnehmer der Fuchsjagd in Richtung Backnang. Seinen Marker am nächsten ans bei Weiler am Stein ausgelegte Zielkreuz setzen konnte Fabian Bähr aus Horb. Für Claude Oughourlian und Wolfgang Hirsch reicht es an diesem Tag nicht, mit um den Sieg zu fahren. Bei Bruch im Weissacher Tal landet Claude Oughourlian schließlich bei Sonnenuntergang seinen Ballon sicher. Zur Entschädigung gibt es aber von den Bewohnern begeistertes Klatschen und ein Landebier.