Reid Anderson bei der Probenarbeit Foto: Roman Novitzky

Warum ist für das Stuttgarter Ballett der asiatische Markt wichtig? Die „Stuttgarter Nachrichten“ haben nachgefragt – bei Ballettintendant Reid Anderson.

Stuttgart – Das Stuttgarter Ballett wird weltweit gefeiert. Auch und gerade in Asien. Wie kam es dazu? - Die „Stuttgarter Nachrichten“ haben bei Intendant Reid Anderson nachgefragt. Noch mehr über das Stuttgarter Ballett erfahren kann man am 4. Dezember beim Treffpunkt Foyer-Abend mit Reid Anderson in der Stuttgarter Liederhalle.

Herr Anderson, ganz bewusst haben Sie das Stuttgarter Ballett als Marke auch auf dem asiatischen Markt positioniert. Wie sehen Sie den internationalen Rang aktuell? Warum sind solche Präsenzen notwendig?
Der Durchbruch im asiatischen Markt war nicht unbedingt ein Ziel. Wir hatten uns eher das Ziel gesetzt, bei Gastspielen nie draufzuzahlen. Eine wirtschaftlich verantwortungsvolle Entscheidung also. Dazu muss man einfach sagen, dass das Interesse an klassischem Ballett in Asien über die letzten 20 Jahre – ausgenommen Japan, wo das Interesse schon sehr lange sehr groß ist – enorm gestiegen ist. Und die Mittel dafür entsprechend auch. Als das klar wurde, ging es darum, was ich die drei Ms nenne: kenne den Markt, verstehe die jeweilige Mentalität und nutze die medialen Möglichkeiten.

Tourneen lassen Tänzer reifen

Was bedeuten solche Tourneen für die Tänzerinnen und Tänzer?
Für die Tänzer sind die Gastspiele eine enorme Bereicherung in ihrer Entwicklung als Menschen, und es schweißt die Kompanie jedes Mal zusammen. Wenn man einen Tänzer des Stuttgarter Balletts – egal welchen Jahrgangs – nach seinen schönsten Erinnerungen fragt, wird sicherlich immer auch ein besonderes Erlebnis auf Gastspiel dabei sein. Nicht zuletzt: Jede große Ballettkompanie von Rang gibt internationale Gastspiele. Die Tänzer wissen also, dass sie angekommen sind, wenn sie mit uns am Bolschoitheater, im Palais Garnier oder in Japan tanzen. Und vor einem fremden Publikum zu tanzen, unter anderen Bedingungen als Zuhause, erzeugt sehr schnell eine Reife und Seriosität, auch bei den Jüngsten. Sie verstehen sich als Botschafter und nehmen diese Rolle sehr ernst.

Neubau der Cranko-Schule als Herzensangelegenheit

Von Beginn an haben Sie sich für die John-Cranko-Schule eingesetzt, als integralen Bestandteil des Stuttgarter Balletts. Der Neubau ist Ihr Projekt – und wird nun doch wohl erst 2019 eröffnet. Wie sehr schmerzt Sie das?
Es schmerzt überhaupt nicht! Wichtig ist nur, dass die Schule eröffnen wird. Schließlich habe ich 20 Jahre dafür kämpfen müssen – ein weiteres Jahr nehme ich gerne in Kauf, so lange das Resultat hervorragend ist. Um etwas zu erreichen, muss man ein klares Ziel haben, viel Geduld aufbringen und vor allem fest daran glauben!

Was Tänzer brauchen

Von 2021 oder 2022 an soll das Opernhaus saniert werden. Ein besonderer Einschnitt gerade auch für das Stuttgarter Ballett. Ist dies aus Ihrer Sicht in der Öffentlichkeit ausreichend deutlich?
Nein! In der ganzen Diskussion über Stadtentwicklung, Standorte und die politischen Grabenkämpfe gehen meines Erachtens zwei wichtige Faktoren ständig unter: unser Publikum und unsere Tänzer! Für das Publikum machen wir das alles hier, sie wollen wir ent- und verführen, inspirieren, berühren und anregen. Dies tun in erster Linie unsere Tänzer. John Cranko hat sie immer „eiserne Schmetterlinge“ genannt. Und obwohl Tänzer stark, diszipliniert und durchaus genügsam sind, sind sie auch hochsensible Künstler. Das Klima, das Umfeld, in dem sie arbeiten, ist wahnsinnig wichtig. Sie muss man adäquat füttern, pflegen, unterbringen und vor allem: Sie benötigen den richtigen Rahmen, den richtigen Schaukasten, in dem sie ihre Pracht und Schönheit entfalten können. Ich hoffe nur, dass unsere wunderschönen Schmetterlinge nicht an einem armseligen Korkbrett angeheftet enden werden. Sonst fliegen sie uns davon.