Probt für ein Stück in Stuttgart: Nanine Linning (rechts) Foto: Brocke

Im Theaterhaus wird so viel getanzt wie schon lange nicht mehr. Seit acht Jahren ist Eric Gauthier dort mit seiner Kompanie zu Hause. Nun will er mit dem Abend „Infinity“ und dem Festival „Colours“ den Tanz in seinen vielen Schattierungen vorstellen.

Stuttgart - Herr Gauthier, schlafen Sie noch gut? Für Ihr Tanzfestival „Colours“, das im Sommer das komplette Theaterhaus bespielen wird, müssen Sie insgesamt 20 000 Tickets verkaufen.
Ja, das ist eine Menge. Aber immer, wenn ich auf das Festival angesprochen werde, höre ich nur Gutes. Ich wollte einfach, dass mehr Tanz nach Stuttgart kommt, und war immer eifersüchtig auf andere Städte wie München oder Berlin, die tolle Festivals haben. Gastspiele sind keine Moneymaker, je nach Kompanie muss man mit bis zu 40 000 Euro Kosten rechnen – das kann man nie reinspielen. So ein Festival funktioniert also nur, wenn man wie wir starke Partner sowie Stadt und Land hinter sich hat. Und weil es sowieso viel Arbeit macht, habe ich mir gesagt: Dann gleich richtig groß.
Jetzt Stuttgart, in zwei Jahren das ganze Land?
Ja, das ist mein Wunsch, dass sich „Colours“ wie ein Virus im Land ausbreitet. Es soll ein Stuttgarter Festival bleiben, aber vielleicht können wir in der nächsten Runde von hier aus Kompanien losschicken, die dann auch in Freiburg oder Karlsruhe auftreten.
Wie groß ist denn das Interesse außerhalb Stuttgarts an „Colours“?
Die große Eröffnungsgala, bei der sich am 25. Juni alle zwölf Kompanien vorstellen, wird voraussichtlich von 3 Sat fürs Fernsehen aufgezeichnet. Und wir werden auch international beachtet – zum Beispiel reist eine Tanzkritikerin der Zeitschrift „Dance Europe“ von London aus an.
Schöne Werbung für Stuttgart!
Ja, das ist so. Durch das Festival ergeben sich viele Möglichkeiten für Koproduktionen – und zwar mit berühmten Kompanien wie dem Nederlands Dans Theater und Künstlern, die an vielen wichtigen Orten in der Welt auftreten. Vor allem, wenn sie ihre Stücke während des Festivals herausbringen, wird in ihren Programmheften stehen: Uraufführung in Stuttgart, Theaterhaus. Der Fall ist das in diesem Jahr zum Beispiel für eine Produktion der Kompanie von Marie Chouinard, der Grande Dame des Tanzes aus meiner Heimat Montreal.
Und Ihre Tänzer haben während des Festivals Urlaub?
Von wegen! Sie tanzen Ohad Naharins Erfolgsstück „Kamuyot“ – und das fast an jedem Festivalabend in der Theaterhaus-Turnhalle. Dieses Stück ist perfekt für alle Fans von Gauthier Dance, um einmal ganz nah dran zu sein und vielleicht sogar mitzutanzen. 400 Zuschauer sitzen auf Tribünen an allen vier Seiten, und der Tanz wird alle Grenzen zum Fallen bringen.
„Colours“ heißt das Tanzfestival, „Infinity“ der neue Abend von Gauthier Dance, der am 30. April Premiere hat. Beide Male geht es um die unendlichen Farben des Tanzes. Das klingt nach bunter Wundertüte. Was ist Ihre Idee dahinter?
Das Konzept des Festivals sah von Beginn an vor, modernen Tanz zu zeigen, der eine eigene Farbe hat. Das kann der besondere Stil einer Kompanie sein oder der des Künstlers, der mit ihr für eine spezielle Produktion zusammenarbeitet. Der Abend „Milonga“ zum Beispiel vermischt zeitgenössischen Tanz mit den Farben des Tangos: Sidi Larbi Cherkaoui hat dafür eine echte Tangokapelle und fünf Tänzerpaare aus Argentinien auf die Bühne geholt und bricht deren Farben mit zwei zeitgenössischen Tänzern.
Und der Abend „Infinity“?
Die nächste Premiere von Gauthier Dance ist eng verknüpft mit dem konzeptuellen Ansatz des Festivals. Meine Kompanie befindet sich jetzt in ihrer achten Spielzeit, da wollte ich einen Abend mit acht Stücken füllen. Über das Spiel mit dieser Zahl landete ich beim Symbol für Unendlichkeit, einer liegenden Acht, und bei der Idee, auch an diesem Abend die große Bandbreite des Tanzes zu zeigen.
Besondere Farbtupfer?
Ja, zum Beispiel von Nanine Linning. Die Tanz-Chefin am Heidelberger Theater, die bekannt ist für ihre atmosphärischen Stücke, hat noch nie für eine andere Kompanie choreografiert. Für Gauthier Dance wird sie sich mit der Kunst Goyas beschäftigen und bleibt ihren Visionen treu: Sie zeigt Menschen, die sich wie Kreaturen ganz langsam bewegen. Unverkennbar ist auch die Handschrift von Charles Moulton, von dem wir schon „Ball Passing“ im Repertoire haben. Jetzt entwickelt er mit 15 Tänzern sein Stück „Infinite Sixes“ weiter, das wieder höllisch schwierig in der Koordination ist.
Acht Stücke? Wird „Infinity“ auch ein unendlich langer Tanzabend?
Nein, Moultons Stück ist sehr kurz – eine perfekte Zugabe. Davor kann man meine Tänzer von sehr unterschiedlichen Seiten erleben: sexy, ironisch und fast nackt in Alejandro Cerrudos „PacoPepePluto“, einer Folge von drei Solos zu drei Songs von Dean Martin. Oder als Gäste einer glamourösen Party, die Hans van Manen in „Black Cake“ mit der Hilfe von viel Champagner aus dem Ruder laufen lässt.
Neben Nanine Linning konnten Sie für „Infinity“ noch weitere Choreografen für Neues gewinnen.
Ich bin in der schönen Situation, dass Gauthier Dance ein toller Ruf vorauseilt und alle, die ich anspreche, Ja sagen. Cayetano Soto zum Beispiel hat hier bei uns mit „Malasangre“ ein sehr erfolgreiches Stück choreografiert, mittlerweile tanzen das schon vier Kompanien auf der Welt. Jetzt arbeitet er an „Conrazoncorazon“, einem extrem schnellen Stück, das die Jungs wie Jockeys aussehen lässt. Johan Inger gestaltet einen ausdrucksstarken Pas de deux für Anna Süheyla Harms und Florian Lochner. Alexander Ekman und Po-Cheng Tsai tragen mit kurzen Stücken eigene Farben bei und machen den Abend sehr abwechslungsreich. Der Taiwanese hat den Choreografen-Wettbewerb in Hannover gewonnen, wo ich jedes Jahr in der Jury sitze und nun einen Produktionspreis ausgelobt habe.