Ballons, Luftschlangen, Blumen und sicher auch manche versteckte Träne regnet auf Sue Jin Kang herab. Foto: Stuttgarter Ballett

30 Jahre lang tanzte Sue Jin Kang beim Stuttgarter Ballett. Nun verabschiedete sich die Koreanerin, die in ihrer Heimat gefeiert wird wie ein Popstar, im Stuttgarter Opernhaus von der Bühne und ihrem Publikum.

Stuttgart - Ein guter Tag für die Hoteliers in Stuttgart, ein schlechter Tag für die Ballettfans. Am Freitagabend tanzte Sue Jin Kang ein letztes Mal, und beim Abschied der Starsolistin von der Bühne waren die Plätze im ausverkauften Stuttgarter Opernhaus überraschend häufig von Gästen asiatischer Herkunft besetzt. Mit Schildchen „Suche Karte“ machte sich schon vor Beginn von Crankos „Onegin“ der Andrang drinnen auch draußen auf der Treppe bemerkbar.

Wer noch nicht wusste, dass die langjährige Erste Solistin des Stuttgarter Balletts in ihrer Heimat Korea wie ein Popstar gefeiert wird, der durfte nun letzte Eindrücke von dieser Verehrung mitnehmen. Die Bravo-Rufe purzelten an diesem Abend nur so aus der Luft; aber alle Akteure, allen voran Jason Reilly als Onegin, hatten sie mehr als verdient: Auch beim letzten in der Reihe von Crankos großen Handlungsballetten während der Anderson-Festwoche trat das Ensemble in perfekter Übereinkunft an, um in mitreißender Spielfreude jenseits aller Routine aufzutrumpfen.

Bild inniger Verbundenheit

Routine ist für eine wie Sue Jin Kang selbst nach 30 Jahren auf der Ballettbühne ein Fremdwort. Wie oft hat sie die Tatjana getanzt, diese Rolle, die sie zur großen Tragödin reifen ließ und die sie zu ihrer Rolle machte? Und doch scheint sie auch beim letzten Mal den Weg eines schüchternen Mädchens zur starken Frau aufs Neue zu erkunden und spürt der Zerrissenheit dieser Figur bis aufs Äußerste nach, bis zur letzten unumstößlichen Geste.

Aber natürlich hat alles an einem solchen Abend neues Gewicht: Das Bild inniger Verbundenheit, das Pablo von Sternenfels und Hyo-Jung Kang als Lenski und Olga zeichnen, kann für die unbedingte Liebe zum Tanz stehen, die Sue Jin Kangs Tun immer begleitet hat. Und wenn sie am Ende einer Spiegel-Szene, in der sie mit Jason Reilly noch einmal die Liebe zum luftig-leichten Traum erhöhte, beseelt zurückbleibt, wünscht man ihr, dass sie dieses Glück in ihrem neuen Leben als Ballettdirektorin in Seoul nie verlassen möge.

Auf der Bühne freilich nimmt das Drama auch an diesem Abend seinen Lauf. Am Ende weint draußen der Himmel, drinnen regnen Ballons, Luftschlangen, Blumen und Tränen auf Sue Jin Kang herab. Jeder Kollege, unter ihnen der extra angereiste Marijn Rademaker, verabschiedet sich persönlich mit einer roten Rose, während sich das Publikum in ein Meer aus roten Herzen verwandelt: „Danke Sue Jin“ steht auf den Blättern, die alle schwenken. Gerührt antwortet die Tänzerin mit Armen, die sie zum Herz formt – und lässt doch ahnen, als sie ihren Mann Tunc Sökmen an ihre Seite holt, dass sie sich auf das freut, was vor ihr liegt.