Szene aus „Deep Field“ Foto: Weigelt

„Deep Field” nennt die Stuttgarter Komponistin Adriana Hölszky denn auch, einen Begriff aus der beobachtenden Kosmologie aufgreifend, ihre „zehn KLANGbelichtungen einer METAmorphose“, die als Auftragskomposition vom Ballett am Rhein im Düsseldorfer Opernhaus vorgestellt wurden.

„Deep Field” nennt die Stuttgarter Komponistin Adriana Hölszky denn auch, einen Begriff aus der beobachtenden Kosmologie aufgreifend, ihre „zehn KLANGbelichtungen einer METAmorphose“, die als Auftragskomposition vom Ballett am Rhein im Düsseldorfer Opernhaus vorgestellt wurden.

Düsseldorf - Ihr Licht leuchtet nur schwach. Kaum sichtbar, hat erst das Hubble-Weltraumteleskop fernste Galaxien erahnen lassen. Unvorstellbar, wie sie klingen könnten, hat gerade diese schiere Unmöglichkeit die Fantasie einer Komponistin beflügelt, die wie kaum eine andere seit jeher ungewohnte Klangräume erforscht. „Deep Field” nennt die Stuttgarter Komponistin Adriana Hölszky denn auch, einen Begriff aus der beobachtenden Kosmologie aufgreifend, ihre „zehn KLANGbelichtungen einer METAmorphose“, die als Auftragskomposition vom Ballett am Rhein im Düsseldorfer Opernhaus vorgestellt wurden: kein akustisches Abenteuer der dritten Art, sondern ein Gesamtkunstwerk, das ganz zweifellos neue Hör- und Seherfahrungen ermöglicht.

Befreit von irgendwelchen Vorgaben, geht die Stuttgarterin aus Rumänien in die Vollen. Und so flüstert und flattert, schnalzt und schabt es von allen Seiten. Blech- und Holzbläser sind wiederholt im Einsatz, Schlagzeug hört man in Hülle und Fülle, stereofon geordnet je zwei Gitarren, Akkordeons und Tasteninstrumente, dazu Euphonium, Koto und Kontrabass und den 48 Stimmen starken WDR-Chor hinterrücks vom höchsten Zuschauerrang herab – von Tonzuspielungen aus den Ludwigsburger Bauer-Studios ganz zu schweigen. Sie gliedern stellenweise das 75 Minuten dauernde Stück, lassen geräuschintensiv und wortgewaltig immer dann aufhorchen, wenn wie von Ferne Fragmente eines entgrenzten Klangkosmos das Ohr erreichen – als wären es noch zu entschlüsselnde Botschaften aus unbekannten Welten.

Dass sie aus Werken von Hermann Hesse, Friedrich Hölderlin und Friedrich Nietzsche stammen, lässt sich nicht sicher sagen. Ebenso wenig, dass Adriana Hölszky in „Phase VIII: Feuer“ aus einem frühen Drama von Hanns Johst zitiert. Der machte zu Lebzeiten als „Barde der SS“, Präsident der Reichsschrifttumkammer und einer der sechs wichtigsten Schriftsteller der Gottbegnadeten-Liste Hitlers eher unrühmlich von sich reden.

Eher im Zusammenhang erkennbar wird „Piktors Verwandlungen“, das Liebesmärchen von Hermann Hesse, das die Komponistin vier „Phasen“ zugrunde legt und auf das zeitweilig auch Martin Schläpfer anspielt. In zwei Szenen ist jedenfalls Martin Chaix zu sehen, unhörbar aus dem Büchlein lesend, und jedes Mal kehrt eine Ruhe ein, die das Ballett sonst nicht kennt. Die Eindrücke jagen sich, und immer wieder andere Konstellationen heben sich vor dem dunklen Netz, das Rosalie vor den Hintergrund spannt: durchlässig zwar für Lichtstufungen unterschiedlicher Art, aber doch immer wieder voll schwarzer Löcher, die das Bruchstückhafte des Ganzen betonen.

Viel ist zu sehen. Gleich zu Anfang Yuko Kato, barfuß und ganz und gar nicht ballerinenhaft. Sich ihres Körpers vergewissernd, scheint sie sich dennoch nicht gänzlich zu begreifen. Was Wunder, hetzt doch wenig später eine Horde Nackter über die Bühne, als wären sie eben aus dem Paradies vertrieben worden. Bedrohlich ist, was sich im „tiefen Feld“ verbirgt, und ohne jede Festigkeit, was Martin Schläpfer choreografiert. Kaum entstanden, zerfällt auch schon wieder eine Szene, und die vorgestellte Menschheit taumelt von einer Katastrophe in die andere, von einer Emotion in die nächste, mal in Schläppchen, mal barfuß, mal bewehrt mit Spitzenschuhen, mit denen sie erbarmungslos einhämmern auf den dunkelblauen Bühnenboden.

Einzelne Sätze hat Adriana Hölszky den vier Elementen zugeordnet, und wie „Deep Field“ beginnt, endet es: im „Delirium“, ohne dass man die Hoffnungslosigkeit genauer begründen könnte. Schläpfer versagt sich jede Eindeutigkeit, und das macht nicht zuletzt die Stärke einer grandiosen Uraufführung aus, die im Makrokosmos immer auch den Mikrokosmos bespiegelt. Menschliches ist dem Choreografen jedenfalls nicht fremd und in steter Verwandlung alle Kreatur. Ganz so, wie es Hermann Hesse in seinem Märchen beschreibt, und doch ganz anders dank einer Musik, die das Ferne nah und die Nähe fern erscheinen lässt: ein Ballettereignis, bedenkenswert in all seinen Phasen.

Weitere Aufführungen am 19. Juni. Am 2. Juli gastiert das Ballett am Rhein mit Choreografien von Jerome Robbins, Hans van Manen und Martin Schläpfer bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen.