Das Urteil des Landgerichts hat 47 Seiten. Die wichtigsten Passagen lesen Sie im Wortlaut in unserer Bildergalerie. Klicken Sie sich durch. Foto: dpa

Das Landgericht folgt Bonatz-Enkel nicht - Teilabbruch des Bonatz-Baus ist legitim.

Stuttgart - Die Bahn kann Stuttgart21 ohne Verzug weiterbauen: Das Landgericht Stuttgart hat am Donnerstag die Klage gegen den Abriss der Seitenflügel des alten Bonatz-Baus abgewiesen. Die Projektgegner kündigten an, ihren Kampf gegen das Vorhaben noch zu verstärken. Die wichtigsten Urteils-Passagen Finden Sie in unserer Bildergalerie.

Um 9.03 Uhr betreten die drei Richter der 17.Zivilkammer am Donnerstag Saal 155 im Landgericht Stuttgart. Um 9.06 Uhr ist die Urheberrechtsklage gegen den Teilabriss des alten Hauptbahnhofs abgewiesen. Für die mündliche Urteilsverkündung in vier dürren Sätzen benötigt der Vorsitzende Richter Bernd Rzymann keine 50 Sekunden.

Die Urteilsverkündung im Eiltempo nach dem mündlichen Prozess am 22.April überrumpelt die 70 Zuhörer im völlig überfüllten Saal 155 und draußen vor der Tür regelrecht. Als die ersten empörten Kommentare fallen - nahezu alle Zuhörer sind Kritiker und Gegner von Stuttgart21 und haben teilweise seit über einer Stunde im stickigen Saal ausgeharrt -, hat sich das Gericht schon wieder zurückgezogen. Die Urteilsbegründung liefert die Kammer den Zuhörern in einer zweiseitigen schriftlichen Pressemitteilung, die sie auf dem Flur verteilen lässt.

"Natürlich bin ich über das Urteil enttäuscht", sagt Peter Dübbers später gegenüber Journalisten. "Ich wollte eine neutrale Beurteilung der Sachlage durch das Gericht." Leider sei eine "etwas einseitige Beurteilung" des Gerichts herausgekommen. Dübbers geht davon aus, dass der Protest der Bürger gegen Stuttgart21 durch das Urteil eher noch "angestachelt" wird.

Der 71-jährige Stuttgarter Architekt Peter Dübbers ist ein Enkel des 1956 verstorbenen Architekten Paul Bonatz, nach dessen Plänen der Bahnhof 1914 bis 1928 errichtet worden ist. Mit der Klage gegen die Deutsche Bahn hat Dübbers den für den Tiefbahnhof von Stuttgart21 nötigen Abbruch der zwei Seitenflügel des Bonatz-Baus verhindern wollen und dafür das vom Großvater ererbte Urheberrecht geltend gemacht.

"Sehr erleichtert über das Urteil"

"Wir sind sehr erleichtert über das Urteil", erklärt Rechtsanwalt Winfried Bullinger, der in dem Rechtsstreit die Bahn vertreten hat. Jede andere Entscheidung hätte eine "Katastrophe" für seine Mandantin bedeutet. Stuttgart21 könne nun "planmäßig fortgesetzt" werden, teilt die Bahn mit. Der Nordflügel des Bonatz-Baus werde bereits in der zweiten Jahreshälfte 2010 fallen.

In der Berliner Bahn-Zentrale wird nach der frohen Kunde aus Stuttgart auch noch eilends eine Pressemeldung verfasst, in der Vorstandschef Rüdiger Grube sein Angebot erneuert, eine Bonatz-Stiftung und eine Stiftungsprofessur an der Uni Stuttgart ins Leben zu rufen. Grube kündigt an, deshalb auf Dübbers persönlich zuzugehen.

"Der Bahn die Hand zu reichen ist für mich momentan nicht vorstellbar", erklärt Dübbers am Donnerstag gegenüber dieser Zeitung. Er will erst prüfen, ob er beim Oberlandesgericht Stuttgart Berufung einlegt oder nicht. Dazu hat er nach Zustellung des aktuellen Urteils vier Wochen Zeit. Außerdem benötigt Dübbers neue Finanzmittel. Die erste Instanz hat ihn rund 65.000 Euro gekostet, wobei 40.000 Euro Darlehen von Stuttgart-21-Gegnern waren.

Die 17.Kammer des Landgerichts hat in ihrem Urteil auf 47 Seiten ausgeführt, weshalb der Interessenausgleich zwischen Dübbers Urheberrecht und den Eigentums- und Nutzungsrechten der Bahn zugunsten des Konzerns ausgegangen ist: Der Bonatz-Bau sei als Baukunstwerk schützenswert und die Ansprüche des Klägers seien legitim und von Gewicht, betonen die Richter. Doch die Interessen der Beklagten wiegen schwerer: Die Bahn müsse ihren Bahnhof zeitgemäß modernisieren dürfen, fasst das Gericht zusammen. Außerdem könne sich die Bahn auf ein "in einem langjährigen Verfahren geformtes öffentliches Interesse an der Verwirklichung" von Stuttgart21 berufen.

Das Urteil des Landgerichts sei "bedauerlich", erklären der Bundesvorsitzende Cem Özdemir und der Landtagsabgeordnete Werner Wölfle (Grüne). "Wir werden weiter mit fantasievollen und energischen Aktionen versuchen, Stuttgart21 zu verhindern", kündigt Wölfle an. Der Bund für Umwelt und Naturschutz spricht von einem "Pyrrhussieg". Die Ebbe der öffentlichen Kassen würde Stuttgart21 noch dieses Jahr stoppen. SÖS-Stadtrat Gangolf Stocker kritisiert, dass das Vertrauen der Bürger in die Gerichte immer mehr Schaden erleide.