Gerhard Heimerl Foto: Piechowski

Bahnexperte Gerhard Heimerl hält den Stresstest für seriös - Kosten für K21 nicht solide.

Stuttgart - Professor Gerhard Heimerl ist einer der geistigen Väter von Stuttgart 21. Nach Ansicht des Verkehrswissenschaftlers hat das umstrittene Bahnprojekt einen seriösen Stresstest durchlaufen - und bestanden. K21 sei machbar, aber die schlechtere Alternative.

Herr Professor Heimerl, die Debatte um Stuttgart 21 wird schärfer, je näher der Zeitpunkt der Stresstest-Präsentation rückt. Warum haben Sie sich seit der Schlichtung im Herbst kaum noch an der Diskussion beteiligt?

Sachlich-fachlich ist alles gesagt. Und die Kritikpunkte, die die Projektgegner anführen, werden durch ständiges Wiederholen nicht plausibler.

Die Ergebnisse des Stresstests sind teils bekannt. Die Simulation, mit der die Bahn die Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs nachweisen will, ist aber unter Experten strittig.

Welche Experten meinen Sie? Was die Bahn vorgelegt hat, bestätigt nach meinem bisherigen Eindruck die Planungen. Das war für mich schon nach dem Faktencheck während der Schlichtung absehbar. Endgültig beurteilen lässt sich das Ergebnis aber erst nach der Prüfung durch das unabhängige Gutachterbüro sma.

Projektgegner werden Ihnen sofort vorhalten, die Sie als Ideengeber für Stuttgart 21 ohnehin nie unvoreingenommen urteilen.

Ich war lange Jahre als Gutachter tätig, dabei sind Ergebnisse oft genug anders ausgefallen, als sich das die Auftraggeber erhofft haben.

Zuweilen argumentieren die Gegner, dass auch Sie von der Bahn Nachbesserungen verlangt haben, sei es, dass im Tiefbahnhof zehn statt acht Gleise nötig seien, seien es der kreuzungsfreie Abzweig zum Flughafen bei Wendlingen oder das fehlende zweite Gleis beim Flughafenbahnhof.

An dieser Stelle möchte ich ein Missverständnis aufklären. Ich habe nie verlangt, dass nachgebessert werden muss. Ich habe lediglich eine ganze Reihe von Optionen für die Zukunft genannt - erstmals 1996 -, die man für die ferne Zukunft offenhalten sollte. Ob deren Verwirklichung nach 30, 40 oder erst 50 Jahren nötig wird, ist dabei völlig offen. Bedenken Sie, dass sich Stuttgart 21 bis zum heutigen Planungsstand Schritt für Schritt entwickelt hat.

In welchen Schritten?

Für den Weiterbau der Neubaustrecke Mannheim-Stuttgart in Richtung Ulm - München war zunächst geplant - erst in Plochingen zu beginnen und den sensiblen Bereich Stuttgart mit dichter Besiedlung und mit seinem Kopfbahnhof auszuklammern. Das konnte nicht sein. Die Leistungsgrenze des Knotens war bereits absehbar. Ich hatte daher vorgeschlagen, für die Neubaustreckenrelation Mannheim-Ulm einen Durchgangsbahnhof unter dem Hauptbahnhof zu bauen. Die Gefahr bestand, einen peripheren Halt für den Schnellverkehr z.B. in Kornwestheim oder Untertürkheim zu bauen. Nach längerer Diskussion sagte die Bahn: Da hat Heimerl recht. Den Hauptbahnhof nicht anzufahren wäre verkehrlich eine Katastrophe. Zunächst sollte der Kopfbahnhof jedoch erhalten bleiben und nur der Fernverkehr unter der Erde fahren. Das ist - nebenbei - der Beleg dafür, dass Stuttgart 21 keineswegs ein reines Immobilienprojekt ist, wie oft behauptet wird.

Warum haben die Planer dann den kompletten Zugverkehr unter die Erde gelegt?

Der Kopfbahnhof in Stuttgart ist ein gut funktionierender Kopfbahnhof. Aber ein Zug muss hier das Gleisvorfeld immer zweimal durchfahren. Aus verkehrswissenschaftlicher Sicht hat ein Durchgangsbahnhof an der Stelle entscheidende Vorteile: Es gibt weit weniger Überschneidungen der Strecken im Gleisvorfeld, die den Betrieb erschweren. Für die Leistungsfähigkeit eines Bahnknotens sind die Verflechtungen auf dem Vorfeld maßgebend und nicht die Zahl der Bahnsteiggleise. Deshalb können die acht Gleise im Tiefbahnhof zum jetzigen Zeitpunkt die 16 Gleise im Kopfbahnhof ausreichend ersetzen.

Das haben die Gegner immer angezweifelt und einen Stresstest für den Kopfbahnhof respektive für ihr Alternativkonzept K21 verlangt. Warum wurde das nicht gemacht?

Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Wenn Sie bauen wollen, planen Sie schrittweise immer an der besseren Lösung weiter, ob bei einem Bahnhof oder bei einem Haus. Bei einem Haus entscheiden Sie sich irgendwann für einen Bungalow und nicht für ein Gebäude mit drei Etagen. Irgendwann wählen sie das Fließenmuster fürs Bad aus, das wählen Sie für den Bungalow, prüfen aber nicht, ob das Muster auch beim Drei-Etagen-Haus gepasst hätte.

"Kosten für K21 lassen sich nicht solide ermitteln"

Glauben Sie, dass so ein Bild die Gegner umstimmt?

Dazu wird die Diskussion viel zu emotional geführt. Unter Fachleuten ist aber unstrittig, dass der Durchgangsbahnhof die bessere Lösung ist. Planen ist immer ein schrittweiser Prozess, bei dem Alternativen geprüft werden. Das wurde gemacht, und die Planer waren ja nicht alle von gestern.

Was müsste bei einem Erhalt des Kopfbahnhofs gemacht werden, um ihn leistungsfähig zu halten?

Neben der Erneuerung der 90 bis 100 Jahre alten Anlagen wären weitere Ertüchtigungsinvestitionen nötig. Zum Beispiel würden zwei weitere Gleise nach Bad Cannstatt benötigt, mittelfristig ein weiteres nach Zuffenhausen. Im Gleisvorfeld müssten zusätzliche Brückenbauwerke entstehen, um die Zufahrtsverflechtungen gering zu halten. Zurzeit fahren die Züge im "Tunnelgebirge" auf zwei Etagen, künftig wären es drei.

Und das ist die schlechtere Lösung?

Man müsste unter laufendem Bahnbetrieb bauen, müsste dafür in vielen kleinen Schritten jeweils einen Gleisabschnitt sperren inklusive eines benachbarten Gleises für die Baustellenbedienung, also z.B. für den Abtransport von Abraum. Das bedeutet langjährige Betriebsbehinderung mit vielen Interimszuständen und einem hohen Personalkostenanteil an den Arbeiten, es würde wesentlich mehr Personal benötigt als für den Bau des Durchgangsbahnhofs, was die Kosten in die Höhe treiben würde. Alles zusammengerechnet würde K21 dann nicht viel weniger kosten S21.

Bei den Kosten scheint sich herauszustellen, dass die Bahn das Projekt inklusive Neubaustrecke nach Ulm schöngerechnet hat.

Bis zum Jahr 2005 und dem damaligen Kostenstand von 2,8 Milliarden Euro hatte die Bahn in meinen Augen seriöse Zahlen vorgelegt, das habe ich mir für die Verhandlungen beim Verwaltungsgerichtshof seinerzeit sehr sorgfältig angesehen. Im Übrigen wurde auch eine Kopfbahnhofkalkulation gemacht, mit einem Investitionsbedarf damals von 2,57 Milliarden Euro.

Inzwischen liegen wir bei fast 4,1 Milliarden Euro.

Was nach 2004 passiert ist, kann ich nicht im Detail beurteilen, ich habe aber keinen Grund zur Annahme, dass die Bahn unseriös gerechnet hat. Für K21 eine plausible detaillierte Kalkulation hinzubekommen ist aufgrund der fehlenden Detailplanung nur grob möglich. Außerdem liegt dem Konzept der Gegner eine gewisse Beliebigkeit zugrunde. Wenn etwas nicht geht, heißt es: Gut, dann machen wir es anders. Kosten lassen sich so nicht solide ermitteln.

Wann ist für Sie der Punkt erreicht, an dem man Stuttgart 21 doch stoppen müsste.

Für mich als Ingenieur funktioniert das Projekt bahntechnisch, und es ist wirtschaftlich. Es gibt aber auch eine gesamtgesellschaftliche Komponente: S21 hat alle gesetzlich vorgeschriebenen Planungsschritte und alle politischen und juristischen Instanzen durchlaufen. Würde das Projekt von den Protesten der Straße gekippt, entstünde ein Problem für unsere parlamentarische Demokratie.

Stuttgart 21 spaltet die Stadt. Unterstellt, das Projekt ist so sinnvoll, wie Sie es beschreiben, wie könnten die Gegner davon überzeugt werden.

Wenn ich das wüsste, würde ich gerne helfen und mich auf den Stuttgarter Marktplatz stellen und täglich eine Rede halten.