Bahn-Chef Rüdiger Grube. Foto: dpa

Update: Die Bahnstrecke wird um 865 Millionen Euro teuer ausfallen als bisher geplant.

Stuttgart - Bahn-Chef Rüdiger Grube fährt zweigleisig: Einerseits betont er den Dialog mit den Gegnern von Stuttgart 21 - andererseits ist er fest entschlossen, das Milliardenprojekt zu realisieren. Vor dem Durchbruch wird Grube aber noch hohe Mehrkosten bei der ICE-Neubaustrecke Wendlingen-Ulm vermelden müssen.

Rüdiger Grube ist ein ruhiger, fast schon gemütlicher Gast. Der 58-jährige Manager leitet seine Sätze gerne mit einem sanften Lächeln ein, hebt kaum einmal die Stimme und hört aufmerksam zu. Nur einmal haut er die gefalteten Hände krachend auf die Tischplatte: "Ich sage, was ich tue - und ich tue, was ich sage", poltert Grube. "Also: Wir werden mit dem Abriss des Nordflügels am Bonatz-Bau erst dann beginnen, wenn wir die aktuellen Kalkulationen zur ICE-Neubaustrecke Wendlingen-Ulm vorgelegt haben."

Dass die 60 Kilometer lange Trasse auf die Schwäbische Alb - die zur Hälfte in Tunneln und durch bautechnisch anspruchsvolles Karstgestein führt - deutlich teurer wird als die bisher angegebenen 2,025 Milliarden Euro, ist keine Überraschung. Immerhin ist diese Kalkulation sechs Jahre alt. Nun liegen erstmals neue Zahlen vor. Beim Redaktionsbesuch unserer Zeitung am Montag kündigt Grube an, die neue Berechnung in den nächsten Tagen vorzulegen. Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) soll das brisante Papier als Erster zu lesen erhalten. "Herr Mappus und ich wollen da kein Versteckspiel", betont Grube.

Am Dienstagnachmittag wurde die Zahl dann bekannt: Die Neubaustrecke wird 865 Millionen Euro teuer ausfallen als bisher geplant, so Grube. Die Gesamtkosten für die 60 Kilometer lange Strecke beliefen sich damit auf 2,89 Milliarden Euro.

Gemäß den im April 2009 unterzeichneten Finanzierungsverträgen zu Stuttgart21 und zur ICE-Trasse beteiligt sich das Land Baden-Württemberg mit einem festen Zuschuss von 950 Millionen Euro an der Strecke bis Ulm. Alle weiteren Kosten und Risiken übernimmt laut Vertrag der Bund.

Grube lässt offen, wie die neue Finanzierung aussehen könnte. "Die Strecke kostet sicher nicht dreimal so viel und auch nicht doppelt so viel wie bisher berechnet", sagt er und weist damit Prognosen von Projektgegnern zurück. Doch selbst wenn es weniger als eine Verdoppelung wäre - das weiß der Bahn-Chef genau -, wird es beim Bund neue Begehrlichkeiten gegenüber dem reichen Baden-Württemberg geben. Da ist es wichtig, dass von der Bahn kein Querschläger kommt: "Ich werde von Herrn Mappus kein zusätzliches Geld fordern", verspricht Grube daher auf Nachfrage der Redaktion. Das ist seine Botschaft des Tages. Dass das Gesamtvorhaben an den Mehrkosten scheitern wird, glaubt er nicht - auch wenn er einräumt, dass die Kosten schon "ein limitierender Faktor" sein könnten.

"Keine Nacht-und-Nebel-Aktion am Nordflügel"

Grubes zweite Botschaft gilt dem Umbau des heutigen Stuttgarter Hauptbahnhofs. Um Platz zu schaffen für den künftigen Tiefbahnhof, müssen die Nord- und Südflügel des 1928 fertiggestellten Bonatz-Baus abgerissen werden. Vor dem Nordflügel, der als Erstes fallen soll, protestieren seit Monaten und Montag für Montag einige Tausend Gegner des Milliardenprojekts für den Erhalt des Altbaus und gegen den Neubau.

"Es wird am Nordflügel keine Nacht-und-Nebel-Aktion geben", verspricht Grube. "Wir haben immer offen gesagt, dass wir im August mit dem Abriss beginnen werden, und daran werden wir uns halten." Die fünf Kameras, die das Kommunikationsbüro für das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm kürzlich aufstellen ließ und die alle fünf Minuten Live-Bilder des Bahnhofs ins Internet übertragen, sind Teil dieser Offenheit.

"Wir investieren rund 100 Millionen Euro in die Gestaltung der heutigen großen Bahnhofshalle, die bei Stuttgart 21 ja erhalten bleibt", rechnet Grube vor. Das Gesamtvorhaben Stuttgart 21 soll - ohne ICE-Trasse - knapp 4,1 Milliarden Euro kosten. Mit "Augenmaß" will Grube auch beim Abholzen von 282 Parkbäumen vorgehen, die dem neuen Tiefbahnhof gleichfalls im Weg sind. "Wir fällen einen Baum erst dann, wenn es der Baufortschritt tatsächlich erfordert", verspricht Wolfgang Drexler, Sprecher des Bahnprojekts. Zudem werde man sich strikt an die Vegetationsperioden halten, betont der SPD-Vizepräsident des Stuttgarter Landtags. Sprich: Gefällt wird zwischen Oktober und Februar. Sonst nicht.

Den Kritikern zuhören, Verständnis entwickeln und trotzdem sein Ding durchziehen - das ist Grubes Methode, Projekte am Laufen zu halten. "Ich möchte, dass sich auch die Gegner von Stuttgart 21 auf mich verlassen können", verdeutlicht er. Tricksereien oder Heimlichtuereien seien nicht sein Ding. "Da bin ich ein einfach gestrickter Mensch", sagt Grube. Diese Charakterisierung wiederholt er noch zweimal während des 70-minütigen Gesprächs. Das Urteil der anderen nimmt Grube in Kauf; es irritiert ihn nicht: "Die Menschen dürfen auch zum Schluss kommen, ich sei ein harter Hund. Hauptsache, sie wissen, dass ich zu meinem Wort stehe."

Die Heftigkeit der Proteste gegen Stuttgart 21 hätten ihn überrascht, räumt der Hanseat ein, der seit 1996 mit der Familie im Landkreis Calw lebt und vor gut einem Jahr den Vorstandssitz bei der Bahn von Hartmut Mehdorn übernommen hat. "Sie sollten aber bedenken, dass die Gegner bei solchen Großprojekten in der Regel immer lauter sind als die Befürworter", meint Grube. Auch gegen den Fernsehturm in Degerloch oder die Landesmesse auf den Fildern habe es zuvor erhebliche Proteste gegeben, und hinterher seien die Bürger doch zufrieden gewesen. Auf diesen Effekt setzt Grube auch bei Stuttgart 21.

"Wir haben auch Verantwortung dafür, dass Stuttgart zukunftsfähig bleibt", betont Grube. Im Saarland zum Beispiel freue sich der dortige Ministerpräsident Peter Müller (CDU) über zusätzliche 130.000 Hotelübernachtungen in Saarbrücken im Jahr, seitdem die Stadt an die neue ICE-Verbindung Frankfurt-Paris angebunden sei. Vergleichbar positive Effekte verspricht sich Grube für Stuttgart. Der Stadt biete sich mit Stuttgart21 zudem die "einmalige Chance", den Flug- und Zugverkehr eng zu verknüpfen.

"Es wird umgesetzt, was wir besprochen haben"

 Ob er sich angesichts solcher Perspektiven nicht mehr Engagement von der Stadtspitze erwarte, wird Grube gefragt. Während Drexler meint, dass er keinen Projektpartner kritisieren wolle, sieht der Bahn-Chef alle Projektpartner gleichermaßen in der Pflicht: "Das ist ein Manko des Projekts, dass viele Bürger in Stuttgart gar nicht wissen, welche Möglichkeiten ihnen Stuttgart 21 bietet", kritisiert Grube.

Dass es manchmal auch im Kleinen hakt, zeigt das Beispiel S-Bahn: Durch Fehler beim Umbau des Gleisvorfelds des Hauptbahnhofs für Stuttgart 21 fallen derzeit Züge aus oder fahren verspätet. Das bringt auch Pendler und Reisende in Rage, die bisher vom Milliardenprojekt kaum direkt betroffen waren. "Zurzeit finden Fahrplansimulationen für die S-Bahn statt. Derzeit prüfen wir die Umsetzbarkeit im Netz", verdeutlicht Grube. Bis zum Herbst sollte das Problem gelöst sein.

Das Problem S-Bahn ist für den Manager symptomatisch für die Komplexität des technischen Systems Schiene. Wegen vieler langwieriger, aber aus Sicherheitsgründen notwendiger Genehmigungsprozesse könnten zwischen dem Beschluss des Managements zur Problemlösung und seiner konkreten Umsetzung mitunter viel Zeit vergehen. "Bis die komplette ICE 3- und ICE-T-Flotte mit neuen Achsen umgerüstet ist, dauert es bis 2013 oder 2014 - obwohl der Beschluss des Vorstands zu dieser Maßnahme längst getroffen wurde", betont Grube.

Wenige Tage vor der Pressekonferenz zur Halbjahresbilanz hat sich Grube zwar Zurückhaltung auferlegt. Dass die Deutsche Bahn AG auch in Zeiten einer globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 1,3 Milliarden Euro Schulden abbauen konnte und einen Überschuss von 830 Millionen Euro nach Steuern erwirtschaftet hat, habe man bereits 2009 bewiesen, sagt Grube. Für 2010 sehe es sogar noch besser aus. "Bei solchen Zahlen kann ich stolz auf meine Mitarbeiter sein."

Die Annahme, die Bahn habe sich in den letzten Jahres auf Kosten eines Börsengangs kaputtgespart, weist Grube zurück: "Diese Darstellung ist falsch", sagt er. Nicht erst der Vorstand, sondern bereits das Grundgesetz halte den Konzern zum unternehmerischen Handeln an, erklärt Grube. Nur so sei das Unternehmen auch in der Lage zu investieren. Im Vorjahr waren es stolze 8,8 Milliarden Euro.

Grube wirkt am Montag beim Redaktionsbesuch so, als sei er mit sich im Reinen. Das gilt auch für Stuttgart 21. Am 23. August werde der Architekt Christoph Ingenhoven den überarbeiteten Entwurf des Tiefbahnhofs öffentlich vorstellen, kündigt er an. "Dieses dauernde ,Sie liebt mich, sie liebt mich nicht' hat man doch kaum ausgehalten", gibt Grube zu. Damit sei bald Schluss, verspricht er. "Jetzt wird umgesetzt, was wir beschlossen haben."