Der Bindestrich trennt und vereint Baden und Württemberg Foto: Peter Ruge

Es klingt melodischer als das Schwäbische, in jedem Fall bewahrt es viele Spuren aus dem Mittelalter: Das Badische besteht aus vielen verschiedenen Dialekten, sagt der Freiburger Sprachforscher Tobias Streck.

Stuttgart - Herr Streck, am Telefon haben Sie sich eben mit „Badisches Wörterbuch, Streck“ gemeldet. Sind Sie etwa ein wandelndes Wörterbuch?
Nein, ganz so extrem ist es sicher nicht. Aber ich leite an der Universität Freiburg die Arbeitsstelle Badisches Wörterbuch, daher melde ich mich dann eben im Büro so am Telefon.
Wie viele Begriffe enthält dieses Wörterbuch?
Es besteht aus vier Bänden mit jeweils etwa 700 bis 800 Seiten, am fünften und letzten Band wird noch gearbeitet. Derzeit kann man in den vier Bänden etwa 76 000 badische Stichwörter nachschlagen.
Wieso gibt es so ein Wörterbuch?
Im ausgehenden 19. Jahrhundert war es sehr modern, Dialekte detailliert wissenschaftlich zu dokumentieren. Im Zuge der Gründung und Publikation verschiedenster großlandschaftlicher Dialekt-Wörterbücher entstand auch die Idee für das „Badische Wörterbuch“.
Und wer braucht das?
Auf jeden Fall nicht nur Wissenschaftler! Die Beschäftigung mit Sprache oder einem Dialekt ist doch etwas sehr Spannendes. Wenn man etwa in die Bibliothek geht und das „Badische Wörterbuch“ zur Hand nimmt, wird man viele Begriffe oder auch einzelne Teile irgendwie in der eigenen Sprache wiederfinden. Dafür muss man kein Sprachwissenschaftler sein, sondern das kann man auch als Laie gut nachvollziehen.
Was genau ist denn der badische Dialekt?
Eigentlich gibt es „den“ einen badischen Dialekt gar nicht. Er besteht stattdessen aus vielen verschiedenen Ausprägungen. Das Wort „badisch“ bezieht sich letztlich ja auf das ehemalige Großherzogtum Baden. In diesem großen Gebiet werden viele verschiedene fränkische Dialekte gesprochen, wozu auch das Kurpfälzische gehört. Und natürlich alemannische Dialekte.
Wobei das Alemannische ja wohl der Teil ist, den die meisten kennen.
Das Badisch-Alemannische hat auch das größte Verbreitungsgebiet. Es reicht im Süden weit in die deutschsprachige Schweiz hinein. Im Westen gibt es das zum Alemannischen gehörende Elsässische. Allerdings zeigen Forschungen, dass sich das Alemannische im Elsass und in der Schweiz ein bisschen anders entwickelt als in Deutschland.
Weil in der Schweiz der Dialekt eine größere Rolle spielt als bei uns?
Genau. In der Schweiz ist der Dialekt für die allermeisten alltäglichen Situationen das Selbstverständliche. Bei uns wird der Dialekt überwiegend im privaten Bereich verwendet, weniger in Situationen mit offiziellerem Charakter. Da wird meist ins Hochdeutsche gewechselt.
Auf dem Dorf sprechen die Menschen aber meist Dialekt.
Ja, dort ist das ausgeprägter. In Städten wie Freiburg dagegen hört man zwar viele regionaldialektale Formen, aber auch viel Hochdeutsch und anderes, weil dort einfach viele Menschen von auswärts leben.
Wie würden Sie den Unterschied zwischen dem Alemannischen und dem Schwäbischen beschreiben?
Aus sprachwissenschaftlicher Sicht gehört auch das Schwäbische zum Alemannischen. Aber im Schwäbischen haben wir zum Beispiel die Erhaltung der mittelhochdeutschen Langvokale nicht mehr. Das bedeutet konkret: Im Schwäbischen sagt man „Haus“, im Alemannischen in Baden sagt man „Huus“ oder „Hiisli“ oder „Hüüsli“. Der Wein ist der „Wii“, die Maus die „Muus“, das Weib das „Wiib“. Und während es im Schwäbischen „bleiba“ heißt, sagt man westlich des Schwarzwalds „bliiebe“ oder „bliiwe“.
Das hört sich ja fast an wie beim mittelalterlichen Dichter Walther von der Vogelweide.
So ähnlich ist es. Das Badisch-Alemannische enthält viele mittelhochdeutsche Spuren. Nicht nur in Bezug auf die langen Vokale, es hat auch in anderen Bereichen des Sprachsystems Merkmale, die bereits in der Zeit um 1200 vorhanden waren.
Dann ist die Grammatik sicher schwer, oder?
Eigentlich nicht. Grammatik unterliegt immer Regeln und ist daher erlernbar.
Aber sicher nicht die für das Badische so typische Sprachmelodie!
Ich würde mal sagen, als Reigschmeckter kann man die Grammatik und viele Ausdrucksweisen lernen. Mit der Melodie sieht das ganz anders aus. Es sei denn, man hat eine ausgesprochene Begabung für Sprache und Dialekte. Oder man lebt schon viele Jahre im Badischen und hat ein wirkliches Interesse an diesem Dialekt. Dann übernimmt man bestimmt vieles von der Melodie, auch wenn man die genaue Intonation auch nach vielen Jahren sicher nicht ganz draufhat.
Ist das Badische der Dialekt mit dem ausgeprägtesten Singsang in Deutschland?
Das hört man immer wieder. Aber eigentlich hat jeder Dialekt einen gewissen Singsang. Keiner spricht doch wirklich immer gleichförmig oder ohne eine gewisse Sprachmelodie.
Was ist für Sie als Dialektforscher und Badener das Schönste an Ihrem Dialekt?
Dass er so unglaublich vielfältig ist! Es gibt so viele Ausprägungen und vor allem schöne Ausdrücke und Wörter, das ist spannend.
Und was ist Ihr badisches Lieblingswort?
Da kann ich mich nicht festlegen. Aber ich mag nette, ausdrucksstarke Synonyme für hochdeutsche Wörter. Zum Beispiel „Bettseicher“ oder „Seichblume“ für „Löwenzahn“. Und für „ein kleines bisschen“ gibt es bei uns den Begriff „Muggeseggele“, den ja auch die Schwaben gebrauchen. Das sind doch wirklich ausgesprochen nette Begriffe.