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Das Bestattungsgesetz wird geändert. Für Muslime entfällt die Sargpflicht, Bestattungen werden künftig schneller möglich sein und der Begriff „Leiche“ wird durch „Verstorbene“ ersetzt. Klar ist jetzt auch: Die Friedhofspflicht für Urnen bleibt im Kern bestehen.

Stuttgart - Das Bestattungsgesetz wird geändert. Für Muslime entfällt die Sargpflicht, Bestattungen werden künftig schneller möglich sein und der Begriff „Leiche“ wird durch „Verstorbene“ ersetzt. Klar ist jetzt auch: Die Friedhofspflicht für Urnen bleibt im Kern bestehen.

Bis zur Änderung des Bestattungsgesetzes werden noch einige Monate vergehen. Die Neuerungen stehen jedoch bereits fest – aufgelistet in einem Eckpunktepapier der Regierungsfraktionen, das unserer Zeitung vorliegt. Grüne und SPD habe es in den vergangenen Monaten gemeinsam mit CDU und FDP erarbeitet. Formaler Leitgedanke war die Einmütigkeit. „Das Thema Bestattung eignet sich nicht zu für politischen Streit“, sagt die SPD-Sozialpolitikerin Sabine Wölfle: „Wir wollten fraktionsübergreifend einen gesetzlichen Rahmen schaffen, der für die Kommunen akzeptabel ist.“ Das scheint gelungen.

Als inhaltlichen Leitgedanken formulierten die Fraktionen den Satz: „Die Ausgestaltung von Bestattungen wird mehr dem Dialog vor Ort und der Konkretisierung in den Friedhofssatzungen überlassen.“ Damit trage man der zunehmenden Vielfalt der Kulturen und Religionen Rechnung. In Umgangssprache übersetzt heißt das: Jeder soll nach seiner Façon bestattet werden können. Es gibt allerdings Grenzen. Im Folgenden die wichtigsten Änderungen:

Aufhebung der Sargpflicht

Nach den Plänen der vier Landtagsfraktionen sollen Bürger muslimischen Glaubens ihrer religiösen Tradition folgend auch hierzulande nur in einem Tuch bestattet werden können. In anderen Bundesländern ist dies bereits möglich. Die Fraktionen sehen darin einen Beitrag zur Integration. Bis heute zeigt nämlich nur ein Bruchteil der in Baden-Württemberg lebenden rund 549 000 Muslime Bereitschaft, sich auch hier bestatten zu lassen. Üblich sind Überführungen in die Heimatländer, was Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu der Feststellung veranlasste: „Solange sich Menschen nicht dort begraben lassen, wo sie gelebt haben, sind sie nicht voll integriert.“

Völlig wegfallen soll der Sarg jedoch nicht. Der Transport von Verstorbenen zum Grab müsse aus hygienischen Gründen weiterhin im Sarg erfolgen, heißt es in dem Eckpunktepapier. Der Verstorbene kann dann aus dem Sarg geholt und in das Grab gelegt werden. Diese Möglichkeit soll jedoch nur Muslimen offenstehen. „Deutsche Familien sind im Prinzip ausgeschlossen“, sagt Sabine Wölfle. Der Hintergrund: Man wolle „Armutsbegräbnisse“ vermeiden. Wie aber lässt sich eine solche unterschiedliche Praxis umsetzen? Ein Religionsnachweis scheidet aus, weil das Bekenntnis zum Islam mündlich erfolgt. Die Fraktionen verständigten sich auf die Formulierung: „Entscheidend ist der ausdrücklich verfügte oder der mutmaßliche Wille des oder der Verstorbenen, aus religiösen Gründen ohne Sarg bestattet zu werden.“ Das heißt in der Praxis: Der Standesbeamte muss über Sarg oder Tuch entscheiden.

Bestatter haben allerdings Zweifel, dass dieser Fall häufig eintreten wird. Der Stuttgarter Bestattungsunternehmer Helmut Ramsaier ist überzeugt: „De jure wird die Sargpflicht abgeschafft, de facto nicht.“ Sein Unternehmen hat bisher erst eine einzige Anfrage für eine Bestattung im Tuch erhalten. Die Gesetzesänderung sei deshalb in erster Linie als „Geste“ für die hier lebende Muslime zu werten.

Bürger jüdischen Glaubens werden von der Möglichkeit übrigens nicht Gebrauch machen, obwohl auch im Judentum die Bestattung im Tuch üblich ist. Im Ausland ließen sich jüdische Verstorbene jedoch grundsätzlich in einem Sarg bestatten, teilten Gemeindevertreter bei einer Anhörung mit.

Urnenfriedhöfe

Der heikelste Punkt betrifft den Umgang mit Urnen. Sollen Angehörige die Gefäße mit der Asche von Verstorbenen mit nach Hause nehmen können?, stand als Frage im Raum. Voraussetzung dafür wäre eine Abschaffung der Friedhofspflicht. Die FDP war zu einer Liberalisierung bereit. Doch die Bedenken überwogen. Man fürchtete um Würde und Pietät. Was, wenn die Urne am Ende in einem Kellerloch steht? Wer entscheidet, wenn sich Angehörige um die Asche streiten? Grüne und SPD teilten die Einwände der CDU. Das bedeutet: Die Friedhofspflicht bleibt. Urnengräber müssen auch in Zukunft öffentlich zugänglich sein. Angehörige, die Urnen ungeachtet der Friedhofspflicht privat aufbewahren wollen, dürften nach Ansicht von Bestattern wie bisher den Umweg über den Schweiz nehmen. Dass in einigen Stuttgarter Vorgärten Urnen liegen, gilt als offenes Geheimnis.

Eine gewisse Liberalisierung soll es dennoch geben. Der Grünen-Sozialpolitiker Manne Lucha spricht von einer „sanften Öffnung“. Laut Eckpunktepapier ist die Bestattung von Urnen „beispielsweise in Kolumbarien (Steinnischen für Urnen, d. Red.) in Kirchengebäuden oder anderen öffentlichen Räumen denkbar, die eine würdevolle Aufbewahrung sicherstellen.“ Als Träger kämen Kommunen, Kirchen und Kirchengemeinden sowie Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Frage, sofern sie Körperschaften öffentlichen Rechts sind.

Hier stellt sich die Frage der Praxis unmittelbar. In der Landeshauptstadt gibt es Überlegungen, sich leerende Gotteshäuser in Kolumbarien umzuwidmen. So erwägt die evangelische Kirche in Stuttgart-Berg eine solchen Schritt. Damit einher ginge eine Umgestaltung der Kirche. „Für die Trauerkultur sind spirituelle Räume sehr wichtig“, sagt Astrid Riehle vom evangelischen Stadtdekanat. Ähnliche Überlegungen werden in der Katholischen Kirche angestellt.

Die Stadtverwaltung ist davon wenig angetan. Beim „Runden Tisch Friedhofskultur“ Mitte März gaben ihre Vertreter zu Protokoll, man betrachte „diese außerhalb der städtischen Friedhöfe liegenden Projekte sehr kritisch“. Es gebe keinen Bedarf für Bestattungsmöglichkeiten jenseits der 41 bestehenden Friedhöfe. Klar ist: In dieser Frage geht es nicht nur um Trauerkultur, sondern auch um Einnahmen.

Wegfall der 48-Stunden-Frist

Bisher galt die Regel: Zwischen Todeszeitpunkt und der Bestattung müssen mindestens 48 Stunden liegen – eine Schutzmaßnahme, um zu verhindern, dass Scheintote bestattet werden. Aufgrund des medizinischen Fortschritts gilt diese Frist als überholt. Die Landtagsfraktionen einigten sich darauf, dass eine Erdbestattung nach der erfolgten Leichenschau möglich ist – auch damit kommt man den Muslimen entgegen, bei denen eine Bestattung innerhalb von 24 Stunden erfolgen soll. Einen Anspruch darauf sollen die Angehörigen mit Blick auf die Öffnungszeiten der Standesämter jedoch nicht erhalten. Für Feuerbestattungen ist weiterhin eine zweite Leichenschau vorgesehen – aus Gründen der Beweismittelvernichtung.

Ewiges Ruherecht

Auf muslimischen und jüdischen Friedhöfen bleiben die Grabstätten erhalten – in Baden-Württemberg erlischt das Nutzungsrecht nach 15 bis 20 Jahren. Änderungen sind nicht geplant. Wer das Grab länger erhalten will, muss dafür bezahlen – in Stuttgart 1660 Euro für weitere 20 Jahre.