Theresia Bauer, Wissenschaftsministerin. Foto: dpa

In der Geschichtsschreibung gelten die Badener im Dritten Reich als liberal, während die Württemberger für sich beanspruchten, demokratischer gewesen zu sein als der Rest von Nazi-Deutschland. Forscher überprüfen diese Thesen nun.

In der Geschichtsschreibung gelten die Badener im Dritten Reich als liberal, während die Württemberger für sich beanspruchten, demokratischer gewesen zu sein als der Rest von Nazi-Deutschland. Forscher überprüfen diese Thesen nun.

Stuttgart - Nazis, das waren immer die anderen. Der Historiker Professor Joachim Scholtyseck steht im lichtdurchfluteten Galerieraum im Haus der Geschichte Baden-Württemberg und bringt auf den Punkt, worum es ihm und seinen Kollegen geht: „Nach 1945 gab es in Baden und Württemberg die Tendenz zu sagen: Wir waren anders. Wir waren gegen Berlin“, sagt der Geschichtsprofessor aus Bonn. Die historische Erzählung, sagt Scholtyseck, habe immerfort gelautet, dass die Badener als liberal galten, während die Württemberger für sich beanspruchten, demokratischer gewesen zu sein als der Rest von Nazi-Deutschland.

„Ob diese Erzählung stimmt, das wollen wir mit unserem Forschungsprojekt herausfinden“, sagt der Professor. Ein Forschungsteam mehrerer Universitäten nimmt dazu die Verwaltungen im Südwesten in den Blick. „Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“ heißt das gemeinschaftliche Projekte mehrerer Universitäten, das nun beginnen soll.

Bislang wissenschaftlich unerforscht

Eine vergleichbare Arbeit habe es bisher noch nicht gegeben, betont Forschungsministerin Theresia Bauer (Grüne). „Am Ende wollen wir verstehen, wie die Ministerialverwaltung im Nationalsozialismus gewirkt hat“, sagte Bauer. Darüber hinaus erhoffen sich die Forscher Erkenntnisse, wie Verwaltungen in Diktaturen im Allgemeinen arbeiten.

Konkret untersucht das Team, das aus sechs Professoren und sieben jungen wissenschaftlichen Mitarbeitern besteht, beispielsweise die Rolle der Finanzbehörden im Südwesten. Inwiefern unterstützten die Beamten die Enteignung von deportierten Juden? Daran schließen sich Fragen an.

Inwieweit waren die Mitarbeiter der Innenbehörden vertraut mit den Gräueltaten in den Konzentrationslagern? Welche Rolle spielte das damalige Kultusministerium bei der Gleichschaltung von Schulen und Universitäten?

Dokumente aus Archiven, Briefe aus privaten Nachlässen, Gespräche mit Zeitzeugen: Die Historiker verfolgen bei der Recherche die Methode der sogenannten Public History (öffentliche Geschichte). Es geht darum, den Elfenbeinturm der Forschung zu verlassen und Kooperationen mit Museen und Geschichtsvereinen einzugehen.

Öffentlichkeit von Anfang mit einbeziehen

„Von Beginn an soll die Öffentlichkeit miteinbezogen werden“, sagte der Projektkoordinator Professor Edgar Wolfrum von der Uni Heidelberg, der das Team gemeinsam mit seinem Stuttgarter Kollegen Wolfram Pyta leitet. „Unter anderem wollen wir auch Lehrer an Schulen einbinden, um das Geschichtsbewusstsein der Schüler zu stärken.“ Eine Zusammenarbeit mit Museen, die recherchierte Dokumente ausstellen, planen die Wissenschaftler ebenso wie eine Präsentation der Recherchen auf einer Internetseite sowie in einem Buch.

Die Stiftung Baden-Württemberg finanziert das auf drei Jahre angelegte Projekt mit 1,45 Millionen Euro. Rund 80 Prozent des Geldes decken die Kosten für die sieben wissenschaftlichen Mitarbeiter. Den Rest wollen die Historiker für Archivreisen und Workshops verwenden. Die Wissenschaftler kommen aus Stuttgart, Bonn, Freiburg, Heidelberg und Erfurt. Ihre Arbeit soll in ein paar Wochen starten. „Es ist auch ein Beitrag, um die Identität des Landes zu stärken“, sagt Ministerin Bauer.