Viel Zeit bleibt den Pflegekräften nicht, denn es fehlt an Personal – dabei wird die Zahl der Pflegebedürftigen in den nächsten Jahren rapide zunehmen. Foto: dpa

Wer den Pflegenotstand vermeiden will, muss die Arbeitsbedingungen für die Pflegenden verbessern. Darüber ist sich der Landtag einig. Aber auch darüber, dass dies nicht umsonst zu haben ist.

Stuttgart - Baden-Württemberg ist nach Ansicht des Landtags noch nicht annähernd auf die Herausforderungen der alternden Gesellschaft vorbereitet. Angesichts der 100 000 Pflegebedürftigen, die in den nächsten 15 Jahren zusätzlich zu den aktuell 300 000 zu erwarten sind, gebe es erheblichen Handlungsbedarf, erklärte am Freitag der Vorsitzende der Enquetekommission Pflege, Helmut Walter Rüeck (CDU).

Zu den 600 Empfehlungen, die das Gremium in den vergangenen zwei Jahren erarbeitet hat, gehört zum Beispiel, die Attraktivität der Pflegeberufe zu steigern: mit einer besseren Bezahlung, vor allem aber mit besseren Arbeitsbedingungen, indem etwa die Dienstpläne verlässlicher werden.

„Die Pflege muss den Herausforderungen gerecht werden, deshalb setzen wir uns für eine Verbesserung des Personalschlüssels ein“, sagte der CDU-Obmann in der Kommission, Thaddäus Kunzmann. Man müsse wegkommen von der „Minutenpflege“.

Viele Angehörige sind überlastet

Da ein Großteil der Pflegebedürftigen noch immer zu Hause versorgt wird, empfiehlt die Kommission, Entlastungsangebote wie etwa Kuren oder Entspannungswochenenden für Angehörige zu schaffen. Rüeck: „Es bringt uns nichts, wenn aus pflegenden Angehörigen selbst Pflegebedürftige werden.“

Der Landesregierung empfiehlt die Kommission außerdem, sich im Bund dafür einzusetzen, dass die Trennung von ambulanter und stationärer Pflege aufgehoben wird. Der Mensch mit Pflegebedarf müsse im Mittelpunkt stehen.

Für die Grünen sei zentral, auch in dieser Lebensphase die Würde des Menschen zu achten, sagte die Abgeordnete Bärbl Mielich: „Wir müssen Angebote schaffen, dass die Menschen selbst bestimmen können, wo sie im Alter leben möchten.“ Ambulante Dienste müssten deshalb gestärkt werden. Außerdem setzen die Grünen auf kleine Wohneinheiten, die auf die Bedürfnisse alter Menschen zugeschnitten sind.

Wer soll das bezahlen?

Nach Ansicht des SPD-Abgeordneten Rainer Hinderer fehlt es auch an Einrichtungen für die Tages- und Kurzzeitpflege, um Angehörige zu entlasten. Außerdem seien weitere Pflegestützpunkte notwendig, die Familien zu beraten.

Dass dies alles viel Geld kosten wird, räumen die Abgeordneten ein. Wo es herkommen soll, darauf geben sie allerdings unterschiedliche Antworten. „Ohne mehr Eigenvorsorge wird es nicht möglich sein, alle Wünsche zu erfüllen“, sagte der FDP-Abgeordnete Jochen Haußmann. Die Pflegeversicherung werde nur einen Teil der Ausgaben decken können.

„Unsere Sympathie gilt dem Status quo: Versicherung und Eigenanteil“, sagte Kunzmann. SPD und Grüne setzen hingegen auf eine „Bürgerversicherung“ auch für die Pflege – also eine Versicherung, zu der alle Bürger mit allen Einkommen beitragen, auch Selbstständige und Beamte. In jedem Fall seien jedoch höhere Beiträge die Folge, sagte Hinderer.

Pflegekammern sind umstritten

Unterschiedliche Sichtweisen gibt es auch in der Frage, ob für die Pflegeberufe eine eigene gesetzliche Interessenvertretung eingerichtet werden soll – eine sogenannte Pflegekammer (analog zur Ärztekammer). Während die Grünen dies befürworten, rät die CDU dazu, die Erfahrungen von Rheinland-Pfalz abzuwarten, das diesen Schritt gerade macht.

Im Wesentlichen war sich die 19-köpfige Enquetekommission (15 Abgeordnete und vier externe Mitglieder) aber einig über die Handlungsempfehlungen. Es gebe lediglich zwölf Minderheitsvoten, sagte Rüeck: „Das zeigt die Bereitschaft, sich zu einigen.“

Wer auch immer nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg an der Regierung sei – er werde an dem mehr als 1000-seitigen Abschlussbericht der Kommission nicht vorbeikommen, wenn er etwas bewegen wolle, so der Vorsitzende.

Das Diakonische Werk Württemberg begrüßte den Abschlussbericht. Nun müssten politische Taten folgen, erklärte Diakonie-Vizechefin Eva-Maria Armbruster. Es brauche auch mehr Geld von Land und Kommunen für den Ausbau der Pflege-Infrastruktur. Und die Beiträge zur Versicherung müssten ebenfalls steigen. Der Landtag berät den Bericht abschließend am 27. Januar.