Per Boot wurden viele Anwohner in Backnang aus ihren überfluteten Häusern befreit. Foto: Beytekin

Update Hochwasser geht im ganzen Rems-Murr-Kreis zurück. Doch der Schaden ist groß.

Stuttgart - Land unter im Rems-Murr-Kreis. Der Dauerregen hat am Donnerstag an vielen Flüssen in der Region zu erhöhten Flusspegeln geführt. Doch jetzt sinken die Pegel langsam. Für die nächsten Tage ist Durchatmen angesagt: Laut Wetterdienst wird es nicht mehr regnen.

Auch im Rems-Murr-Kreis entspannte sich die Lage deutlich, sagte ein Polizeisprecher in Waiblingen. "Die Pegel gehen überall zurück." Jedoch seien in Backnang auch am Morgen noch etwa 5000 Haushalte ohne Strom. Der sei allerdings vermutlich nicht ausgefallen, sondern wegen der Nässe als Vorsichtsmaßnahme abgestellt worden. Auch am Morgen durften 65 Menschen in Backnang nicht in ihre Häuser.

Die Hochwasservorhersage für Baden-Württemberg im Netz

Fast alle Kommunen, in denen Bäche oder Flüsse durch die Ortskerne führen, hatten am Donnerstagmorgen mit den gewaltigen, plötzlich auftauchenden Wassermassen zu kämpfen. Weil der Boden durch die Schneeschmelze bereits total gesättigt war, konnte kaum mehr etwas im Erdreich versickern. Der Einsatz begann morgens um 4.30 Uhr, allein im Rems-Murr-Kreis waren 1500 Feuerwehrleute zugange, um Straßen abzusperren und vollgelaufene Keller leer zu pumpen. Personen wurden, so die Bilanz der Kreisverwaltung am Abend, bisher nicht in Mitleidenschaft gezogen. Zum Sachschaden wollen die Behörden noch keine Angaben machen, doch es geht sicher um einen mehrstelligen Millionenbetrag. Zu einem großen Problem dürften nach Polizeiangaben noch die zahlreichen Öltanks werden, die überall in den überfluteten Gebieten gekippt oder aufgeschwommen sind.

Randvolle Autos in Backnang

Mit am schlimmsten war die Lage im Murrtal. In Backnang liefen zahlreiche in Ufernähe abgestellte Autos randvoll mit Wasser. Nachdem am Nachmittag mehrere Trafostationen abgeschaltet werden mussten, waren 5000 Haushalte ohne Strom. Die Innenstadt wurde komplett gesperrt. Die Parkhäuser in der Grabenstraße und im Biegel liefen voll. Rettungskräfte und Beamte der Bereitschaftspolizei waren mit Schlauchbooten unterwegs, um rund 150 Bewohner aus überfluteten Häusern zu retten. Sie sind vorläufig in der Mörikeschule untergekommen. Außerdem musste das Backnanger Asylheim in der Gartenstraße evakuiert werden. "Wir haben 51 Personen in anderen Gebäuden des Landkreises untergebracht", erläuterte Landrat Johannes Fuchs. Die Stadtverwaltung richtete am alten Güterbahnhof ein Sandsacklager ein, in dem sich die Bürger bedienen konnten. Die Stadt hat im Übrigen den für heute Abend geplanten Neujahrsempfang abgesagt. Probleme hat derzeit auch die Deutsche Post in Backnang. Denn am Zustellstützpunkt im Gewerbegebiet Gartenstraße stand das Wasser am Donnerstagnachmittag "schon bis zu den Türen", so Post-Sprecher Hugo Gimber. Man müsse für die Sortierung auf Ausweichstandorte zurückgreifen. Verzögerungen in der Zustellung seien unvermeidlich.

Dramatik in Oppenweiler

Äußerst angespannt war die Lage in Oppenweiler, dem nordöstlichen Nachbarort von Backnang. Der Wasserstand von 3,35 Metern war der höchste seit zehn Jahren. In Murrhardt wiederum wurde der Murrdamm überflutet. Nach einem Erdrutsch war die Straße zwischen den Murrhardter Ortsteilen Klingen und Käsbach unpassierbar. Auch südlich von Backnang spielten sich dramatische Szenen ab, der Ortskern von Unterweissach war eine einzige riesige braune Lache und somit unpassierbar.

In Rudersberg bleiben Schulen und Kindergärten dicht

Rudersberger Evakuierung

Weder Hut noch Mütze schützten Martin Kaufmann, der Regen klatschte dem Bürgermeister von Rudersberg aufs schüttere Haupt. Doch das war für den Schultes der nördlich von Schorndorf gelegenen 11500-Einwohner-Gemeinde am Donnerstagmittag das geringste Problem. An der zentralen Brücke im südlichen Teilort Schlechtbach war das Wasser der Wieslauf längst über die Ufer getreten, an manchen Stellen hatte sich das ansonsten nur zwei Meter breite Bächlein zu einem 40 bis 50 Meter breiten, reißenden Strom ausgeweitet. Schon am frühen Morgen musste eine besonders kritische Situation an der Grundschule Schlechtbach gemeistert werden, als das Wasser sich dem Eingang der in einer Senke liegenden Schule näherte. Rektorin und Bürgermeister ordneten die schnelle Evakuierung an: Um 9 Uhr wurden 110 Kinder ins Bürgerhaus verfrachtet. Am Abend teilte der Bürgermeister dann mit, dass am Freitag alle Schulen und Kindergärten geschlossen bleiben. Viel hätte nicht gefehlt, und Rudersberg wäre komplett von der Außenwelt abgeschnitten gewesen. Die Landesstraße von Süden, also von Schorndorf her, war komplett überspült. An der Landesstraße von der sogenannten Rettichkreuzung nach Rudersberg war ein Hang abgerutscht. Immerhin, die Wieslauftalbahn fuhr regelmäßig - und weil viele Bürger mit dem Auto nicht gen Norden fahren konnten, war das "Wiesel" von Schorndorf aus im Stundentakt gar bis 3.20 Uhr unterwegs.

Premiere im Remstal

Das Stauwärterhäuschen am Rems-Sperrwerk zwischen Schorndorf und Winterbach war Anlaufstation für zahlreiche Bürger wie auch Bürgermeister, die die Bedrohungslage persönlich in Augenschein nehmen wollten. Aufgrund des Hochwassers wurden dort erstmals seit Bestehen des vor 20 Jahren gegründeten Wasserverbands Rems die Hochwassertore geschlossen, um den 1,6 Millionen Kubikmeter fassenden Polder zu füllen. Zuvor kam es zu teils dramatischen Szenen, weil die Bürger und auch ein Rathausvertreter die Mitarbeiter des Verbands massiv bedrängten, die Tore sofort manuell zu schließen. Die weiter östlich gelegenen Sperrwerke in Lorch und Waldhausen wurden am späteren Nachmittag ebenfalls geschlossen, um die Katastrophe für die Rems-Anlieger zu verhindern.

In Waiblingen wurden die bereits in der vergangenen Woche erreichten Hochwasserstände teils erheblich überschritten. An einzelnen Pegeln der Rems seien bereits 20-jährige Hochwasserstände erreicht, "bei noch steigender Tendenz", erklärte eine Rathaussprecherin. Die Stadt hat eine Info-Hotline geschaltet: 07151/ 5001160. Das Waiblinger Landratsamt hat zudem ein Bürgertelefon eingerichtet: 07151/ 5011111.

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