Béjart Ballet tanzt Gil Romans „Syncope“ Foto: Ilia Chkolnik

25 Jahre war Maurice Béjarts Kompanie nicht mehr in Stuttgart. Unter Marcia Haydée war die Verbindung zum 2007 verstorbenen französischen Ballettrebellen eng. Nun kehrte Béjarts Kompanie in neuer Frische zurück.

Stuttgart - Der Mann trägt zu Trenchcoat standesgemäß Sonnenbrille und Pistole. Ein Agent? Ganz klar wird das nicht in der „Suite barocco“, mit der das Béjart Ballet Lausanne am Freitag sein dreitägiges Gastspiel im Stuttgarter Opernhaus eröffnete.

Vor knapp 20 Jahren entstanden, ist Maurice Béjarts Barock-Ballett von brisanter Aktualität. Der Bewaffnete zielt ins Publikum, dann richtet er sich selbst. Während er das tut, naht von hinten das Leben, löst Vogelgezwitscher Krimiklänge ab. Regenbogenbunt ist die Truppe gekleidet, die den Toten wie ein Haufen närrischer Satyre umtanzt.

25 Jahre war Maurice Béjarts Kompanie nicht mehr in Stuttgart. Unter Marcia Haydée, für die Béjart die Rolle der Isadora und Mutter Teresa schuf, war die Verbindung zum 2007 verstorbenen französischen Ballettrebellen eng, „Bolero“ und seine „Gaîté parisienne“ zeugen bis heute im Repertoire davon. Haydées Nachfolger Anderson setzt eigene Akzente, aber ganz auf Béjart verzichten kann auch er nicht. Zwei Gastspiele des Tokyo Ballets brachten 2004 und 2014 Béjarts Kunst zurück nach Stuttgart.

Nun ist seine eigene Kompanie wieder einmal zu Gast - und breitet in „Suite barocco“ im Handumdrehen den für Béjart typischen Kosmos der Lebensfreude aus, in dem jeder eine Lizenz zum Lächeln besitzt. Das ist so entwaffnend, dass der auferstandene Agent den Mantel gleich mit abgibt. Mit so schöner Dynamik hat hier zuletzt Christian Spuck Barockmusik umgesetzt. Bei Béjart kommt stoffliche Erlesenheit hinzu, schließlich hat Versace die Kostüme gestaltet: körperbetont und bunt zu Beginn, dann für ein Damentrio Chiffonhosen und -Tops in transparenter Optik. Ein Tanz mit Fächern inszeniert fernöstliche Harmonie.

Ein Ort utopischer Verheißungen

Überhaupt war für Béjart die Bühne ein Ort utopischer Verheißung, wo die Gesetze von Leben und Tod außer Kraft sind. Das ist an diesem Abend auch an anderer Stelle zu erleben, alles ist da, wofür Béjart in der Ballettwelt steht: Mythische Figuren und Interesse für fremde Kulturen, Heldenverehrung, Pathos und, ja auch das immer noch, diese tollen, knabenhaft wirkenden Tänzertypen. Einen wie Oscar Chacon braucht es, um den Dialog von „Liebe und Tod“ expressiv bis in die tiefsten Verästelungen des Existenziellen auszuleuchten, ohne auch nur eine Sekunde lang pathetisch zu wirken. Kateryna Shalkina tanzt seiner Seite, beide zeigen schön, wie Béjart das Leben singen hört in zwei der finsteren Lieder Mahlers.

Das älteste Stück des Abends, die 1992 entstandene Umsetzung von Béla Bartóks Tanzpantomime „Der wunderbare Mandarin“, zeigte nicht nur, wie bildgewaltig und sprechend Béjart Ballett inszenieren konnte. Der Einakter ist auch eine Verbeugung vor der Kunst des Expressiven. Die Kostüme gestaltete Anna De Giorgi in Anlehnung an die Filme Fritz Langs; und Bartóks Musik setzt Béjart in überspitzt gezeichneten Figuren und holzschnittartigen Gesten um, dass das Höllische in ihr zum Tanzen kommt. Lawrence Rigg als Hure en travestie, die Ausgebeutete und Ausbeuter gleichsetzt, dazu ein Chor in schwarzer Spitze und ein Mandarin, der als ewiger Mao nicht sterben will: Béjart wusste, wie Ballett sexy aussehen und zugleich politisch Stellung beziehen konnte.

Sein Ensemble tanzt das mit einem besonderen Geist, den man auch vom Stuttgarter Ballett kennt – eine unsichtbare Kraft, die alle beseelt und alles zusammenhält. Seit Béjarts Tod sorgt sein ehemaliger Tänzer Gil Roman dafür, dass die Kompanie nicht im Musealen verharrt. Wie lebendig ihm das gelingt, machte „Syncope“ klar. Ein Stück Tanz so übervoll an Wandlungen und Wendungen, dass ihm ein wenig die Mitte und erst recht ein Schluss fehlt. Licht aus, Stück aus? Gil Roman setzt so tollkühn Theatergesetze außer Kraft, bringt Hüte zum Leuchten, lässt Sessel ihre Besitzer verschlingen, paart Schwanensee-Klassik mit Salsa-Wiegen, dass dem Publikum nur der Jubel bleibt.