Nele Bonner, die Leiterin der Awo-Begegnungsstätte an der Osterbronnstraße 64 B, freut sich über die vielen bunten Blumen auf der Terrasse. Foto: Caroline Holowiecki

In der Awo-Begegnungsstätte in Stuttgart-Dürrlewang gärtnern zweimal im Monat Senioren miteinander. „Urban Gardening“ heißt das Projekt, und es soll erst der Anfang für eine stadtteilweite Bewegung sein.

Dürrlewang - Schwarze Ungarin, Red King Edward und Rote aus Ampflwang heißen die Knollen. Sechs verschiedene Kartoffelsorten hat Sandra Schöpf dabei, und eine heißt doller als die andere. Das braune Gemüse soll heute unter die Erde, und die Gartengestalterin erklärt genau, mit wie viel Sand die Erde angereichert werden muss, wie praktische Töpfchen aus alter Zeitung gerollt und die einzelnen Portiönchen gegossen werden sollen. Falten, mischen, graben – jede Gruppe hat eine Aufgabe, und jede Aufgabe wird gewissenhaft erfüllt.

Es ist wieder Zeit fürs „Urban Gardening“. Zweimal im Monat kommen Senioren in der Awo-Begegnungsstätte an der Osterbronnstraße zusammen und gärtnern gemeinsam. Initiiert hat das kollektive Pflanzen und Buddeln die Leiterin der offenen Tageseinrichtung, Nele Bonner. „Die meisten Senioren sind früher schon einmal mit dem Gärtnern in Berührung gekommen, viele waren in der Kriegszeit Selbstversorger.“ Und beispielsweise bei Demenzkranken zeigten Studien immer wieder, dass den Betroffenen eine sehr ursprüngliche Arbeit, die in die Vergangenheit zurückführe, oft guttue. Es geht ums Anpacken, um Farben und Gerüche, um eine Erfahrung mit allen Sinnen, und jeder macht nach seinen Möglichkeiten mit, erklärt Nele Bonner und blickt sich zufrieden auf der kleinen Terrasse des Awo-Treffs um. Kunterbunte Töpfchen hängen in Halterungen von den Wänden oder stehen in Regalen, farbenfrohe Beete machen Lust auf Frühling. „Jedes Blümchen hier ist von uns eingesetzt worden“, sagt sie.

In Dürrlewang sollen künftig noch viel mehr Menschen gärtnern

Einer, der regelmäßig kommt, ist Bernhard Gramm. „Ich habe einen eigenen Garten, aber ich lerne immer etwas dazu“, sagt der 66-Jährige, während er sich eine Arbeitsschürze umbindet. Er soll heute mit Robert Wüst (78) und Sebastian Semler (85) Rollen an mobile Beeten schrauben. Denn da das Gebäude, in dem die Begegnungsstätte ist, aktuell renoviert wird, muss man flexibel bleiben. „Ich habe 23 Jahre lang einen Garten gehabt, letztes Jahr musste ich ihn aber wegen gesundheitlicher Probleme abstoßen. Das tut mir schon leid“, sagt Sebastian Semler. Hier kann er seiner Leidenschaft weiter nachkommen.

Und diese Leidenschaft, die soll in Dürrlewang noch viel mehr Menschen erreichen. Nele Bonner möchte das „Urban Gardening“ weiter nach außen tragen. Sie hat einen Immobilienbesitzer an der Osterbronnstraße ausfindig gemacht, der seinen Grünstreifen zur Verfügung stellen würde. Die Senioren mit dem grünen Daumen wollen Pflänzchen ziehen, das kräftezehrende Graben und die Pflege sollen später aber Freiwillige übernehmen.

Auch der Freundeskreis Flüchtlinge Vaihingen-Rohr macht mit

Eine Kooperation könnte sich bereits anbahnen. Denn bei Lienhard Erler, dem Sprecher der Themengruppe „Wohnen, Wohnumfeld, öffentlicher Raum“ vom Stadtteilsanierungsprogramm „Soziale Stadt Dürrlewang“ rennt Nele Bonner offene Türen ein. „Die Idee, sich einzubringen, finde ich richtig. Die Kombination finde ich fruchtbar“, sagt er beim jüngsten Treffen. Er werde die Idee als Multiplikator weitertragen, und vielleicht finden sich unter seinen Mitstreitern welche, die die Senioren unterstützen wollen. Lienhard Erler ist zuversichtlich: „Ich habe von vielen gehört, die ganz unglücklich wären, mitzumachen zu können, weil sie keinen eigenen Garten haben.“

Und auch Gina Dietz-Zagar vom Freundeskreis Flüchtlinge Vaihingen-Rohr ist zum „Urban Gardening“-Treff gekommen. Um sich inspirieren zu lassen, wie sie sagt. Während sie eifrig Töpfchen mit Erde befüllt, überlegt sie, dass einige der Frauen aus der Asylunterkunft in der Arthurstraße sicherlich Freude an der Gartenarbeit hätten. „Das ist nicht nur karitativ-beglückend, sondern eine sinnvolle Beschäftigung“, findet sie.

Die Gartengestalterin Sandra Schöpf, die regelmäßig Kurse gibt und Gruppen anleitet, ist jedenfalls überaus zufrieden mit den betagten Awo-Gärtnern. „Das ist meine erste Seniorengruppe, und sie ist fantastisch“, schwärmt sie. Sie merkt: Viele kennen die praktische Arbeit mit Pflanzen und Erde von früher, vom Acker oder aus dem eigenen Garten. „Wenn die alten Leute mit etwas in Kontakt kommen, das sie kennen, blühen sie auf. Das macht es mir sehr leicht.“